Polen: "Kaczyński weiß nicht, was er will"

Protest des Komitees zur Verteidigung der Demokratie in Polen.
Protest des Komitees zur Verteidigung der Demokratie in Polen.(c) REUTERS (KACPER PEMPEL)
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Mateusz Kijowski, der Gründer der polnischen Protestbewegung KOD, glaubt, dass der Chef der Regierungspartei PiS vor allem durch den Wunsch nach Macht motiviert ist.

Die Presse: Aus der EU-Perspektive betrachtet sind die jüngsten Ereignisse in Polen schwer nachzuvollziehen. Die EU-Kommission hat sich entschlossen, die Arbeit der neuen Regierung in Warschau unter Beobachtung zu stellen. Wie würden Sie einem Westeuropäer den Wandel erklären?

Mateusz Kijowski: Ich habe das Gefühl, dass wir Polen selbst nicht zur Gänze begreifen, was da gerade vor sich geht. Was den Wahlsieg der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS, Anm.) betrifft, ist er wohl der Tatsache geschuldet, dass sich viele Menschen im Lauf der vergangenen Jahre von der Vorgängerregierung allein gelassen gefühlt und eine Alternative gesucht haben. PiS hat diesen Menschen ein Zusammengehörigkeitsgefühl vermittelt. Was allerdings PiS als Regierungspartei seit dem Wahlsieg im vergangenen Herbst angestellt hat, ist mir vollkommen unverständlich.

Halten Sie PiS für eine populistische Gruppierung, die dem Volk nur aufs Maul schaut, oder hat Parteichef Jarosław Kaczyński ein konkretes Ziel?

Die Partei kam auf jeden Fall mit populistischen Methoden an die Macht – sie haben den Wählern das Blaue vom Himmel versprochen. Von diesen Versprechen hat vieles ökonomisch keinen Sinn. Es scheint nur darum zu gehen, Geld von einer Tasche in die andere zu stecken...

...was eigentlich gegen einen Masterplan für den Totalumbau Polens spricht.

Ich habe zunehmend den Eindruck, dass PiS und Kaczyński selbst nicht genau wissen, was sie eigentlich wollen. Außer allen zu zeigen, dass sie demokratisch gewählt wurden und nun an der Macht sind. Was sie mit dieser Macht konkret anstellen wollen, ist mir jedenfalls nicht ganz klar. Im Wahlkampf waren sie nett, freundlich und zuvorkommend, machten viele konkrete Versprechen, vor allem im Bereich der Wirtschaft. Davon setzen sie jetzt nichts um. Und sie bemühen sich nicht mehr darum, populär zu sein.

Also war der Wahlkampf ein einziges Täuschungsmanöver?

Von ihrer Liste der Reformen für die ersten hundert Tage wurde nur das Kindergeld aufgegriffen – und auch das nicht in der eigentlich versprochenen Form (für alle Kinder, Anm.). Stattdessen wurden Dinge in Angriff genommen, die auf der Liste nicht zu finden sind. Und die hundert Tage sind bald um.

Will PiS nur zeigen, dass es die Macht hat, oder will es sicherstellen, dass es diese Macht nie wieder abgeben muss?

In diese Richtung deuten leider die Ankündigungen einer Wahlrechtsreform. Und das Verfassungsgericht wurde wohl außer Gefecht gesetzt, um Vorhaben umzusetzen, die nicht unbedingt verfassungskonform sind. Doch die bisher vorgelegten Projekte – Reform der öffentlich-rechtlichen Medien, der Staatsanwaltschaft, der Geheimdienste – ergeben kein schlüssiges Bild.

Wie malen sich Kaczyński und Co. den polnischen Staat aus?

Dieser Staat muss stark genug sein, um seine Bürger zu beaufsichtigen. Es ist ein Staat, der von einer Partei in Beschlag genommen wurde. Aber wir reden hier nur von den rechtlichen Möglichkeiten, den Mitteln, die dem Staat zur Verfügung stehen. Doch welcher Zweck heiligt diese Mittel? Will PiS einen sozialen Staat, einen liberalen Staat, eine Wirtschaftsmacht? Keine Ahnung.

Aber es muss doch ein ideologisches Fundament geben, auf dem PiS aufbauen will.

Es geht ihnen vor allem um Emotionen: Man will zeigen, dass Deutschland böse ist, dass Europa Polen schaden will, dass die Opposition aus Kommunisten und Dieben besteht. Mehr kann ich momentan nicht erkennen.

Ein trauriger Befund.

Wenn es PiS nur darum geht, das Selbstwertgefühl durch die Ausübung von Macht zu heben, dann ist es eine Partei der Leere.

Deutschland, die Kommunisten, Europa – täuscht der Eindruck, oder hat die Regierung ein Problem mit der Gegenwart? Will sie das Rad der Zeit zurückdrehen?

Ja, sie stecken alle in der Vergangenheit fest. PiS lebt von der Nostalgie, hat aber keinen Plan für die Zukunft...

... dafür aber Angst vor Vegetariern und Radfahrern, wie es der Außenminister jüngst in einem Interview erklärte.

PiS ist eine Partei des 19. Jahrhunderts. Sie setzt auf sogenannte nationale Werte. Obwohl man angesichts dessen, was zuletzt in Polen passiert ist, nicht mehr ernsthaft von Werten sprechen kann.

ZUR PERSON

Mateusz Kijowski (*1968)
Der Informatiker engagiert sich seit den 1990er-Jahren für diverse soziale Anliegen – etwa Rechte der Väter und Impfungen. Im November 2015, wenige Wochen nach dem Wahlsieg der polnischen Nationalkonservativen, gründete er das Komitee zur Verteidigung der Demokratie (KOD), das seither Demonstrationen gegen die Regierung organisiert. [ imago ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.02.2016)

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