EU-Gipfel diskutiert über Verdoppelung der Zahlungen an die Türkei

Der türkische Premier Ahmet Davutoglu (2.v.l.) will mehr Geld von Ratspräsidenten Donald Tusk (2.v.re.).
Der türkische Premier Ahmet Davutoglu (2.v.l.) will mehr Geld von Ratspräsidenten Donald Tusk (2.v.re.).REUTERS
  • Drucken

Das EU-Angebot sieht Diplomaten zufolge vor, dass Ankara bis Ende 2018 drei Milliarden Euro zusätzlich für die Flüchtlingshilfe bekommt. Die Beratungen werden in den kommenden Tagen fortgesetzt.

Kein Ergebnis beim EU-Sondergipfel zur Flüchtlingskrise: Die Staats- und Regierungschefs der 28 EU-Staaten haben die Entscheidung über einen Flüchtlingsdeal mit der Türkei am heutigen Montagabend vertagt, teilten EU-Diplomaten in Brüssel mit. Man werde die Beratungen in den kommenden Tagen fortsetzen, hieß es. An der Zusammenkunft hatte auch der türkische Premier Ahmet Davutoglu teilgenommen.

Weitere Milliardenhilfe, visafreies Reisen bereits ab Juni und ein Austausch von syrischen Flüchtlingen im 1:1-Verhältnis: Das sind die Eckpunkte des Flüchtlingsdeals mit der Türkei, über die am Montagabend beraten wurde. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte zuvor mit einem Nein zur Abriegelung der Balkanroute für Aufsehen gesorgt.

Das EU-Angebot sieht Diplomaten zufolge vor, dass Ankara bis Ende 2018 drei Milliarden Euro zusätzlich für die Flüchtlingshilfe bekommt. Im November waren bereits drei Milliarden Euro von den EU-Staaten in Aussicht gestellt worden. Das zusätzliche Geld soll wieder zweckgewidmet für die Flüchtlinge sein und nicht direkt an die Türkei überwiesen werden. Außerdem soll die Visapflicht für Türken bereits am 1. Juni fallen.

Entgegen ursprünglich kolportierten Summen von weiteren 15 Milliarden Euro, welche die Türkei gefordert habe, sei beim Gipfel nur über weitere drei Milliarden Euro geredet worden, hieß es in Ratskreisen. Das zusätzliche Geld soll wieder zweckgewidmet für die Flüchtlinge sein und nicht direkt an die Türkei überwiesen werden.

Türkei soll illegale Migranten zurücknehmen

Kernpunkt des Deals ist, dass die Türkei in der Ägäis aufgegriffene illegale Migranten zurücknimmt. Im Gegenzug verpflichtet sich die EU, syrische Kriegsflüchtlinge von der Türkei zu übernehmen. Zu diesem Zweck ist ein Mechanismus geplant, wonach für jeden von Griechenland in die Türkei zurückgeschickten Syrer ein syrischer Kriegsflüchtling über das Resettlement-Programm von der EU aufgenommen werde.

Unklar war am frühen Abend, ob der Gipfelentwurf Aussichten auf einen Konsens hat. Es werde "intensiv diskutiert", hieß es in Diplomatenkreisen. Es sei möglich, dass die Entscheidung auf den nächsten Gipfel am 17. und 18. März vertagt werde, hieß es. Die EU-Staats- und Regierungschefs sollten gegen 19.00 Uhr erneut mit dem türkischen Premier Ahmet Davutoglu zusammenkommen, der sich am Abend positiv zum neuen EU-Entwurf äußerte. Dieser "zielt auf eine neue Ära in den EU-Türkei-Beziehungen ab", sagte er. Mit dem Deal sollen Flüchtlingstragödien verhindert und Schlepper bekämpft werden.

Dem türkischen Premier wurde vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan die Latte hoch gelegt. "Ich hoffe, er kommt mit Geld zurück", sagte Erdogan mit Blick auf den Brüssel-Aufenthalt Davutoglus. Der Präsident kritisierte am Montag in Ankara, dass die EU schon vor vier Monaten Geld versprochen, es aber "immer noch nicht gegeben" habe.

Schelling gegen mehr Geld für Ankara

Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) sprach sich unterdessen gegen weiteres Geld für Ankara aus. "Ich bin nicht bereit, über die drei Mrd. hinaus noch mehr Geld zur Verfügung zu stellen", sagte Schelling noch vor Bekanntwerden des neuen EU-Gipfelentwurfs. Er wolle nicht weitere Mittel zur Verfügung stellen, "solange nicht klar ist, dass Länder mit Sonderbelastungen wie Deutschland, Schweden oder Österreich ebenfalls abgegolten werden", sagte Schelling.

Zu Beginn des Gipfeltages sorgte die deutsche Kanzlerin Merkel für Aufsehen, indem sie öffentlich Widerstand gegen die im Gipfelentwurf enthaltene Schließung der Balkanroute anmeldete. "Es kann nicht sein, dass irgendetwas geschlossen wird", sagte sie in Brüssel. Sie forderte stattdessen eine "nachhaltige Lösung" mit der Türkei. Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sprach sich Diplomaten zufolge für eine Änderung der Formulierung aus, die als Erfolg Österreichs und der mitteleuropäischen Staaten angesehen wurde. Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) sagte bei seinem Eintreffen in Brüssel, er sei "sehr dafür, mit klarer Sprache allen zu sagen: Wir werden alle Routen schließen, die Balkanroute auch. Schlepper sollen keine Chance haben." Auch der slowenische Ministerpräsident Miro Cerar bezeichnete eine Schließung der Balkanroute zum Auftakt des EU-Gipfels als "absolut notwendig".

Flüchtlinge appellieren an "Mama Merkel"

An der geschlossenen griechisch-mazedonischen Grenze appellierten unterdessen rund 200 verzweifelte Flüchtlinge an die deutsche Kanzlerin, ihnen zu helfen. Die Menschen riefen "Mama Merkel!" und hielten eine deutsche Fahne hoch, wie ein Fotoreporter der Nachrichtenagentur dpa am Montagnachmittag vor Ort beobachtete. Merkel hatte die von Österreich betriebene Schließung der mazedonischen Grenze scharf kritisiert. Österreichische Politiker zeigten sich unbeeindruckt und warfen Berlin ihrerseits Doppelzüngigkeit vor, weil es selbst Flüchtlingskontingente beschlossen habe. Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) sagte am Montagabend in einem ATV-Interview, die EU müsse "notfalls auch das Zeichen setzen, dass ein Grenze wirklich eine Grenze ist". "Gewaltszenen sind nicht angestrebt, aber da und dort unvermeidbar".

(APA/dpa)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Flüchtlinge tragen eine verletzte Frau an der griechisch-mazedonischen Grenze.
Außenpolitik

Mazedonien: "Wir sind Europa egal"

Das Land müsse in der Flüchtlingskrise die Fehler der EU ausbügeln, meint Präsident Ivanov. Deutschland habe in Sicherheitsfragen völlig versagt.
Außenpolitik

Für 1200 Euro von Idomeni nach Belgrad

Immer mehr Flüchtlinge verlassen das Lager nahe Mazedonien und fahren zurück nach Athen. Während es an der Grenze meist Iraker und Syrer sind, harren Pakistani, Marokkaner und Algerier bei den Schleppern in Evzoni aus. Dort sucht man vergeblich nach der Polizei.
Trotz allem in guter Stimmung: Innenminister de Maizière, Mikl-Leitner.
Europa

Visafreiheit für Türken schon im Mai?

Ankara will alle Vorgaben für die Gewährung der Visafreiheit bereits am 1. Mai erfüllen. Die Zahl der Flüchtlinge in Griechenland nimmt weiter zu.
Flüchtlinge warten am Hafen von Piräus.
Außenpolitik

Merkel: EU hat Verantwortung für Flüchtlinge in Griechenland

Das Aus auf der Balkanroute bringe uns zwar weniger Flüchtlinge, aber Athen in eine schwierige Situation, nimmt die Kanzlerin Athen gegenüber Österreichs Linie in Schutz.
Flüchtlinge: EU-Staaten billigen 700 Millionen Euro Nothilfe
Europa

Flüchtlinge: EU-Staaten billigen 700 Millionen Euro Nothilfe

Die ersten 300 Millionen sollen nach Plänen der Kommission so schnell wie möglich im laufenden Jahr fließen. Der Großteil soll an Griechenland gehen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.