Türkei: Ein Land im Kampf um die Pressefreiheit

Tränengasnebel bei der Demonstration für Pressefreiheit.
Tränengasnebel bei der Demonstration für Pressefreiheit.(c) APA/AFP/OZAN KOSE (OZAN KOSE)
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Mit dem Angriff auf die "Zaman"-Redaktion wurde in der Türkei erneut ein Medium unter Regierungskontrolle gebracht. Kritische Journalisten zeigen sich weiterhin angriffslustig, auch wenn ihnen langsam die Möglichkeiten ausgehen.

Von einem dunklen Jahr ist oft die Rede, von dunklen Tagen und von dunklen Stunden. Internationale Berichte über die Lage der Medien in der Türkei tragen dieser Tage gemeinhin das Attribut dunkel. Erst vergangene Woche wieder, als die Polizei in Istanbul die Redaktionsräume der auflagenstärksten Zeitung des Landes, „Zaman“, stürmte. Die regierungskritische Redaktion wurde unter Kuratel gestellt, eine spontane Demonstration für Pressefreiheit lösten die Beamten mit Tränengas und Wasserwerfern auf. Schon die erste Ausgabe der neuen „Zaman“-Verwaltung verdeutlichte die redaktionelle Fahrtrichtung: Präsident Recep Tayyip Erdoğan wurde gepriesen, wie auch eines seiner Prestigeprojekte, die neue Brücke über den Bosporus.

Die Kritiker in den sozialen Medien ließen freilich nicht lang auf sich warten und entwarfen ihre eigene Version der nunmehr regierungsfreundlichen Zeitung: Dort erhält Erdoğan den Nobelpreis für Physik, besiegt den Haudegen Chuck Norris im Zweikampf, ist der „beliebteste Politiker aller Zeiten“ und beim Spiel Galatasaray gegen Bayern schießt er auch noch alle Tore. Traurig sei ja, heißt es in einem Kommentar in den sozialen Medien, dass die Satireausgabe von der neuen, echten „Zaman“ kaum zu unterscheiden sei.

Nun, ob Erdoğan mittlerweile tatsächlich 90 Prozent der Zeitungsauflagen im Land kontrolliert, wie es kürzlich in einem „FAZ“-Gastbeitrag geheißen hat, mag übertrieben sein. Es ist jedenfalls nicht das erste Mal, dass die Regierung kritische Zeitungen und Medien paralysiert. Mit dem jüngsten Angriff auf die Feza-Mediengruppe, zu der neben „Zaman“ auch die Nachrichtenagentur Cihan sowie mehrere Fernsehkanäle gehören, wurde erneut der Wirkungskreis des Predigers Fethullah Gülen angegriffen. Dabei hat der 75-jährige Geistliche, der im US-amerikanischen Exil lebt, die AKP-Regierung zunächst unterstützt, gemeinsam wollte man einen modernen, demokratischen Islam prägen. Gülens Anhänger waren v. a. im Verwaltungsbereich, bei Justiz, Polizei und Wissenschaften stark, während die AKP die politische Struktur dominiert hat. Der Bruch zwischen den beiden Männern vor über zwei Jahren kam einem politischen Erdbeben gleich – der AKP ist es zwischenzeitlich gelungen, den Einfluss der Gülenisten massiv herunterzuschrauben.

Erst vergangenen Herbst, kurz vor der Neuwahl des Parlaments, wurde das Hauptquartier der Koza-Ipek-Holding durchsucht und anschließend unter Kuratel gestellt. Die zwei Zeitungen der Holding, Bugün und Millet, wurden auf Kurs gebracht, die TV-Sender Bugün sowie Kanaltürk eingestellt. Die Holding gilt ebenfalls als Gülen-nahe, die Bewegung des Predigers wird mittlerweile als terroristisch eingestuft.

„Ich habe“, sagt Sevgi Akarçeşme, „die AKP und Erdoğan persönlich unterstützt.“ Vor Jahren habe man es mit einer Regierung zu tun gehabt, die sich nicht nur nach innen, sondern auch nach außen – Stichwort EU – geöffnet habe, so die Chefredakteurin der englischsprachigen Ausgabe „Today's Zaman“ gegenüber der „Presse am Sonntag“. Aber nicht ihre Zeitung habe sich verändert, sondern die Regierung mit einem zunehmend autoritären Kurs. Als Akarçeşme einen Tweet über Premier Ahmet Davutoğlu verfasste und ihm vorwarf, die Pressefreiheit abzuschaffen, zog der Regierungschef persönlich gegen die Journalistin vor Gericht. Das Urteil: 17,5 Monate. Dabei wurde sie nicht einmal für ihren eigenen Tweet verurteilt, kritisiert Akarçeşme, sondern für eine noch schärfere Antwort eines Users auf ihre Zeilen. Ebenfalls auf Twitter schildert die Chefredakteurin, wie „Today's Zaman“ unter der neuen Verwaltung funktioniert: So sei ein Text über den Sänger Elton John zensuriert worden, weil er homosexuell ist.

Eine persönliche Sache. Die türkische Medienlandschaft gilt eigentlich als vielfältig. Nahezu jedes politische und religiöse Spektrum gibt eine Publikation heraus, die gnadenlose Feder etlicher Karikaturisten ist legendär. Allein die Karikaturzeitschrift „Gırgır“ hatte zu Höchstzeiten eine Auflage von einer halben Million. Einen medialen Frühling erlebten die Redaktionen noch zu Beginn der AKP-Regierung, als sich das von etlichen Militärputschen geplagte Land demokratisch öffnete.
Ihre Darstellung in den Medien wurde für Erdoğan und seine Regierung aber immer mehr zu einer persönlichen Angelegenheit. Einer Erhebung von Erol Önderoğlu zufolge wurden im vergangenen Jahr 120 Journalisten wegen Beleidigung des Staatschefs verfolgt. Bis Jahresende befanden sich 31 Journalisten im Gefängnis, 348 wurde im Lauf des Jahres gekündigt, im Jahr zuvor waren es 339. Von den in Haft befindlichen Redakteuren wurde 17 eine Nähe zur verbotenen kurdischen PKK vorgeworfen, der Rest soll mit linksextremistischen Organisationen zusammengearbeitet haben.

Der Druck auf die Journalisten habe mit der Zuspitzung des Kurdenkonflikts noch mehr zugenommen, sagt Önderoğlu von Reporter ohne Grenzen in Istanbul. Der Vorwand, kurdische Terroristen zu verfolgen, würde oft auf Journalisten angewendet. Ein Beispiel ist etwa die niederländische Journalistin Fréderike Geerdink, die mehrere Jahre lang von Diyarbakır aus, der mehrheitlich von Kurden bewohnten Metropole im Südosten der Türkei, unter anderem über die PKK berichtet hat. Vergangenes Jahr wurde Geerdink beschuldigt, die PKK zu unterstützen, zweimal wurde sie festgenommen und schließlich des Landes verwiesen.

Zudem wurden in der jüngeren Vergangenheit auch Journalisten belangt, die kritisch über die Rolle der Türkei im Syrien-Krieg berichtet haben. Bekanntestes Beispiel sind der Chefredakteur der liberalen, kemalistischen „Cumhuriyet“, Can Dündar, sowie sein Büroleiter in Ankara, Erdem Gül. Drei Monate saßen sie im Gefängnis, weil sie über angebliche Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes nach Syrien berichtet hatten. Der Verfassungsgericht hat kürzlich entschieden, dass mit ihrer Verhaftung die Pressefreiheit verletzt worden ist – aber der Prozess gegen die beiden prominenten Journalisten steht noch aus.

Das Problem ist, sagt Önderoğlu, dass die meisten türkischen Zeitungen und TV-Kanäle großen Mischkonzernen gehören. Wird der Holding ein regierungsfreundlicher Manager vorgesetzt, werde sich das auch auf die Medien des Hauses niederschlagen. Der ?alık-Konzern etwa mit seiner auflagenstarken Zeitung „Sabah“ sowie etlichen Magazinen und TV-Sendern wurde zeitweise von Erdoğans Schwiegersohn Berat Albayrak geleitet. Nun ist es Berats Bruder Serhat, der den Medien innerhalb der Holding vorsteht. Als weiterhin regierungskritisch gelten hingegen die Publikationen des Doğan-Konzerns, allen voran deren Flaggschiff „Hürriyet“. „Die Frage ist, wie lang sie dem Druck noch standhalten können“, sagt Önderoğlu. Seinen Beobachtungen zufolge sind die Artikel in letzter Zeit eher zurückhaltend.

Kein Spielball. Der Angriff auf die Pressefreiheit mag ein schleichender Prozess gewesen sein, nur haben sich jüngst die Vorfälle gehäuft. Sehr viel Kritik von außen muss die türkische Regierung dabei nicht befürchten, zumal Ankara bei der Flüchtlingskrise eine Schlüsselrolle zukommt. Die EU will mit der Türkei eng zusammenarbeiten, damit sich der Flüchtlingsstrom nach Europa verringert.

Zwar haben sich Frankreichs Präsident, François Hollande, die EU-Außenbeauftragte, Federica Mogherini, und etliche andere Politiker besorgt über die Lage der Medien in der Türkei gezeigt, aber ein Spielball bei den Verhandlungen scheint die Pressefreiheit nicht zu sein; vielmehr sieht es danach aus, als ob dieses Thema bei den EU-Beitrittsgesprächen verschoben wird und bei dem Deal um die Flüchtlinge eher im Weg steht.

„Die EU enttäuscht uns“, sagt Sevgi Akarçeşme von „Today's Zaman“. „Wegen der Flüchtlinge gehen sie vor Erdoğan in die Knie.“ Von der EU erwarten sich türkische Journalisten insbesondere die Stärkung von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die ebensolche Missstände aufzeigen. „Die Organisationen werden immer mutiger, sie vernetzen sich auch besser untereinander“, sagt Önderoğlu. Die sozialen Medien, die in der Türkei starken Stellenwert haben, sind ebenfalls ein Sprachrohr von Regierungsgegnern. Man denke etwa an die virtuelle Schlagkraft während der Gezi-Park-Proteste 2013. Bereits damals wuchs der Druck auf Medienhäuser, die sich mit den Demonstranten solidarisierten.

Es gebe immer noch die kleinen, unabhängigen Zeitungen, die dem Druck standhalten würden, sagt Önderoğlu. So landet Erdoğan regelmäßig auf der ersten Seite der Karikaturzeitschrift „Gırgır“, zuletzt als Kaffeesatzleser. Zu den drei Richtern, die im Hintergrund stehen, sagt er sinngemäß: „Sieht so aus, als müsstet ihr euch demnächst mit Gerichtsfällen beschäftigen.“

Die offizielle Linie der Regierung lautet, dass die Pressefreiheit in der Türkei nach wie vor gegeben ist. Premier Davutoğlu rechtfertigte die Beschlagnahmung von „Zaman“ damit, dass die Justiz so entschieden habe, nicht die Partei. Gleichzeitig warnte er vor einer Unterwanderung des Staates durch die sogenannte Hizmet-Bewegung des Predigers Gülen. Nur einen Tag später wurde der Chefredakteur der linken Zeitung „Birgün“, Barış Ince, wegen Beleidigung des Präsidenten zu 21 Monaten Haft verurteilt. Er hatte einen Text verfasst, der mit der Zeile „Hırsız Tayyip“ („Dieb Tayyip“) beginnt.

In Zahlen

120 Journalisten wurden im Jahr 2015 in der Türkei verfolgt, im Jahr zuvor waren es 72 Journalisten.


31 Journalisten befanden sich Ende 2015 in Haft. In der „Rangliste Pressefreiheit“ von Reporter ohne Grenzen ist die Türkei auf dem 149. Platz von insgesamt 180 zu finden. Den ersten Platz nimmt Finnland ein, Österreich den siebenten.


348 Journalisten wurden im Vorjahr in der Türkei entlassen.


6 Publikationen wurden 2015 verboten. Sämtliche Personen, insbesondere Journalisten, die im Vorjahr wegen Beleidigung des Präsidenten verurteilt worden sind, haben insgesamt 21 Jahre, sechs Monate und 19 Tage ausgefasst.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.03.2016)

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