Erster Weltkrieg: Flüchtlinge im Schichtunterricht

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Symbolbild.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die Stundentafeln wurden gekürzt, die Klassen zusammengelegt und die Schulen als Lazarett genutzt. Eine Ausstellung zeigt Wiens Schule im Ersten Weltkrieg.

Wien. Rund 200.000 Flüchtlinge befinden sich in Wien – darunter sind auch viele Kinder. Eine Herausforderung für das Wiener Schulsystem. Die Flüchtlingskinder werden in eigenen Flüchtlingsklassen untergebracht. Der Unterricht findet fortan im Schichtbetrieb statt.

Nein, das ist keine Gegenwartsbeschreibung, sondern ein Rückblick auf den Ersten Weltkrieg. Gestern, Dienstag, eröffnete der Wiener Stadtschulrat in Kooperation mit dem Wiener Schulmuseum eine Ausstellung unter dem Titel „Von der Feder zum Säbel – die Wiener Schule im Ersten Weltkrieg“. Aber: „Auch wenn es sich um den Ersten Weltkrieg handelt, geht es hier um Dinge, die von Aktualität sind“, sagt der wissenschaftliche Leiter des Schulmuseums, Oskar Achs.

Die Ausstellung zeigt, wie sich die Wiener Schule vor und während des Krieges veränderte: „Die eigentliche Aufgabe der Schule, Bildung und Erziehung zu vermitteln, rückte durch die Kriegsschule immer mehr in den Hinter- und die Militarisierung in den Vordergrund“, sagt Achs. Der Unterricht wurde im Sinn der Kriegspädagogik ausgerichtet, die Schulbücher adaptiert. Und schon vor dem Beginn des Ersten Weltkrieges, konkret 1910, wurde an den Gymnasien in der siebenten und achten Klasse freiwilliger Schießunterricht (mit scharfer Munition) erteilt.

Handarbeit als Hauptfach

Im Lauf des Krieges wurde Wien immer mehr zur „Kasernen- und Spitalsstadt“. Die Stadt wurde zum Knotenpunkt für die Verteilung der k.u.k. Soldatenheere. Dazu mussten die Soldaten zwischenzeitlich in öffentlichen Gebäuden untergebracht werden – also vor allem in Schulen. Es dauerte nicht lang, und Züge mit Verwunderten kamen von der Front zurück. Sie wurden in Wien versorgt – und zwar wiederum in den Schulen. Die wurden nach und nach zu Lazaretten.

Es entstand nicht nur ein räumliches, sondern auch ein personelles Problem: Die jungen Lehrer wurden zum Militärdienst einberufen, die älteren wurden gern als Verwaltungsbeamte eingesetzt. Als zusätzliche Herausforderung kamen bis 1915 etwa 200.000 Flüchtlinge aus Galizien und der Bukowina hinzu. Unterrichtet wurde im Schichtunterricht – bis zu dreimal am Tag. Zudem wurde Klassen zusammengelegt, die Stundentafeln gekürzt und zwischenzeitlich auch Kurzstunden eingeführt. Im Unterricht führten die Schüler Sammelaktionen durch. Auch ihre Arbeitskraft war gefragt. Handarbeit wurde für Mädchen zum Hauptgegenstand. Sie strickten Socken, Schals und Fäustlinge. Alles für die Soldaten. Die älteren Schüler wurden ebenso eingezogen. Deshalb konnten sie die Kriegsmatura schon in der siebenten Klasse ablegen.

Eine ganze Generation litt unter Bildungsarmut. „Schule und Gesellschaft hängen untrennbar zusammen. Die Vergangenheit zeigt uns, wie wichtig Friedenserziehung in der Schule ist“, sagt Achs. (j. n.)

Die Ausstellung ist bis 27. April im Wiener Stadtschulrat zu besichtigen (Anmeldung unter 01/525 25-77199).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.03.2016)

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