Flüchtlingsklassen: „Schauen schon, dass wir die Kinder mischen“

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Symbolbild.(c) APA/AFP/ADEM ALTAN
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Über die Vor- und Nachteile eigener Klassen für Flüchtlinge, traumatisierte Kinder, die jahrelang keine Schule besucht haben, und Schulen an der Grenze ihrer Möglichkeiten. Ein Besuch in der Volksschule Klettenhofergasse.

Zeichensprache ist seit einigen Wochen hoch im Kurs in der Wiener Volksschule Klettenhofergasse. „Nicht streiten“, mahnt Lehrerin Maria Klik die Kinder, die angefangen haben, sich im Turnsaal zu balgen und kreuzt die Finger. „Den Ball in den Korb geben“, sagt und mimt sie gleichzeitig. Und jetzt das Spiel mit den Körperteilen: „Nase!“, schreien die Kinder und zeigen hin. „Augen! Mund! Bauch!“

In der Schule nahe der U6-Station Michelbeuern, in der weniger privilegierten Gegend des 18. Wiener Gemeindebezirks, gibt es neben den regulären fünf Klassen seit kurzer Zeit eine sechste: eine reine Flüchtlingsklasse. Sie besteht aus 15 Kindern, alle zwischen sechs und neun Jahre alt, alle aus Syrien, Afghanistan oder aus dem Irak. Entgegen der ursprünglich vom Bildungsressort vorgegebenen Linie gibt es in Wien inzwischen zehn separate Schulklassen nur für Flüchtlingskinder. Als Übergangslösung, wie man in Ministerium und Stadtschulrat betont. Ein Versuch, allen Flüchtlingskindern einen Schulbesuch zu ermöglichen, ohne bestehende Klassen zu zerreißen. Die seien an manchen Standorten schlicht voll.

Flüchtlingsheim in der Nähe

So auch in der Klettenhofergasse. Die ersten 15 Flüchtlinge habe man in den regulären Klassen untergebracht, schildert Direktorin Brigitte Lässig: drei pro Klasse etwa. Dann wurde in der Schopenhauerstraße ein Flüchtlingsheim eingerichtet, in dem viele Familien leben. Und Lässig wurde von den Schulbehörden gebeten, eine eigene Klasse aufzumachen. Eine jener Klassen, über die unter dem Schlagwort Ghettoklassen immer wieder heftig diskutiert wurde: Werden Kinder in solch eigenen Klassen stigmatisiert? Diskriminiert? Ausgeschlossen?

Zauberer und Lesestunde

„Der Begriff ist fürchterlich“, sagt Lässig. „Wir bemühen uns auch, das anders zu handhaben.“ Die Kinder sind zwar in einer separaten Klasse, aber sie nehmen auch am Schulalltag teil. Beim Faschingsfest waren sie wie alle beim Zauberer. Bei der wöchentlichen Lesestunde, während der alle Klassen aufgelöst und in Gruppen verteilt werden, sind sie dabei. „Wir schauen schon, dass wir sie ein bisschen mischen. Es ergibt sich immer etwas.“

Wie die neue Klasse von den anderen Kindern und den Eltern gesehen wird? Sie nehme alle als recht offen wahr, sagt Direktorin Lässig. Immerhin seien viele der Eltern selbst migriert oder geflohen, etwa in den 90ern aus Bosnien. Es gebe da und dort schon Vorbehalte, hört man hinter vorgehaltener Hand. Es ist ein politisch hochsensibles Thema, das ist jedenfalls klar.

Was besser ist, was schlechter – die Flüchtlingskinder in separate Klassen zu setzen oder gleich in die regulären –, will Lässig nicht wirklich sagen: Jedes Modell habe seine Vorteile. „Die eigene Klasse: dass die Kinder ganz gezielt Deutsch lernen. Die andere: dass sie gleich mit anderen Kindern zusammen sind.“ Aber da müssten die Kinder die Kompetenzen in Deutsch und Mathematik quasi nebenher erwerben. Eine besondere Herausforderung, weil „mehr als die Hälfte“ ohne jegliche Schulbildung ankomme. „Die kommen aus Städten wie Aleppo, wo seit Jahren Krieg herrscht oder haben in Camps in der Türkei gelebt.“ Gerade seien zwei neue Kinder gekommen, darunter ein neunjähriger Bub aus Syrien, der seit drei Jahren in keiner Schule war. Vor allem für ältere Kinder seien eigene Klassen am ehesten sinnvoll, sagt Lässig. In der ersten Klasse würden alle Schüler mit Lesen und Schreiben beginnen. Auch in der zweiten sei ein Einstieg gut möglich. Je später, desto schwieriger. „Am liebsten wäre mir, alle mit vielen zusätzlichen Ressourcen in Regelklassen unterzubringen – nach zwei, drei Monaten, in denen sie die Basics lernen“, sagt Lässig. Aber das sei jetzt vielleicht schon zu politisch.

Mit den Basics hat Lehrerin Maria Klik angefangen, als sie nach Weihnachten vor 15 Kindern stand, die kein Deutsch konnten. Heute versteht einer der älteren Buben sie, wenn sie ihn bittet, die Scheren zu holen: Die Kinder sollen Sechser ausschneiden, die Zahl haben sie gerade durchgenommen. Die Klasse ist kein Deutschkurs, sondern an den regulären Stundenplan angelehnt – mit Schwerpunkt Sprache. Und die Kinder seien begierig, die deutsche Sprache zu lernen, sagt Klik, die von einer Deutschlehrerin und einer mit arabischer Muttersprache unterstützt wird. „Sie freuen sich über jedes neue Wort.“

Furchtbare Schicksale dabei

Extraklasse hin oder her: Eine große Herausforderung sind die Geschichten, die die Kinder mitbringen. „Da sind furchtbare Schicksale dabei, die wir nur ansatzweise kennen“, sagt Lässig. Ein Kind, das auf der Flucht von den Eltern getrennt wurde. Eines, das miterlebte, wie der Vater enthauptet wurde. Man versuche, ihnen in der Schule möglichst viel Normalität zu bieten.

Ob die Klettenhofergasse eine jener Schulen sei, die laut Gewerkschaft an der Grenze sei? „Wir sind schon an der Grenze“, sagt Lässig. „Wie aber eigentlich jede Schule.“

Auf einen Blick

Flüchtlinge. Zehn eigene Klassen für Flüchtlingskinder gibt es inzwischen in Wien. Es soll eine Übergangslösung sein, damit die Kinder rasch beschult werden können. Im Herbst sollen die Kinder auf reguläre Klassen aufgeteilt werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2016)

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