Der Spagat des David Cameron

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FILES-BRITAIN-PANAMA-TAX-MEDIA-CAMERON-EU-REFERENDUM(c) APA/AFP/POOL/CHRISTOPHER FURLONG
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Der Premier räumt nach tagelangem Lavieren ein, einen Anteil an der Offshore-Firma seines Vaters gehalten zu haben. Für das EU-Referendum bleibt ihm vorerst keine Zeit.

London. In der fünften Stellungnahme in vier Tagen rückte der britische Premier, David Cameron, endlich mit der Wahrheit heraus. Ja, er habe Anteile an der in den Panama-Papers genannten Offshore-Firma seines verstorbenen Vaters Ian gehalten, räumte Cameron Donnerstagabend in einem Interview ein. Niemals aber habe er „unrechtmäßig gehandelt“ und immer „korrekt alle anfallenden Steuern bezahlt“.

Für die Glaubwürdigkeit des Premiers droht angesichts des katastrophalen Krisenmanagements dennoch ernsthafter Schaden. „Alles hängt nun davon ab, ob er endlich alles auf den Tisch gelegt hat“, sagte der Meinungsforscher Anthony Wells vom Institut YouGov zur „Presse“. Die EU-Kampagne, die in ihre entscheidende Phase tritt, gerät damit ins Hintertreffen.

Der Zeitpunkt ist ungünstig, denn die Anzeichen stehen für Cameron und das Lager der Befürworter nicht zum Besten. Der Ausgang des Referendums in den Niederlanden bedeutet weiteren Auftrieb für die britischen Gegner der Union. Der frühere Europa-Staatssekretär Denis MacShane warnt: „Wo auch immer in den vergangenen Jahren Europa auf dem Stimmzettel stand, haben die Wähler den Regierenden eine Ohrfeige verpasst.“ Für das britische Pro-EU-Lager bedeute dies: „Die Lage ist verdammt ernst.“

43 Prozent für Brexit

Umfragen weisen ebenfalls in diese Richtung. Nach einer Erhebung des Instituts Opinium wollen aktuell 43 Prozent der Briten für den Austritt aus der EU stimmen, während 39 Prozent für den Verbleib und 18 Prozent unentschieden sind. Besonders beunruhigen muss die EU-Befürworter, dass sie die größte Zustimmung unter jener Gruppe haben, die am wenigsten motiviert ist, bei der Volksabstimmung ihre Stimme abzugeben: Unter den 18- bis 34-jährigen Wählern liegt die Zustimmung für die EU mit 53 Prozent am höchsten, die erwartete Beteiligung mit 52 Prozent zugleich aber am niedrigsten.

So wollen 81 Prozent der Wähler über 55 Jahre am 23. Juni abstimmen, von ihnen sind aber nur 30 Prozent für den Verbleib und 54 Prozent für den Austritt aus der EU.

Anders als die Volksabstimmung um die Unabhängigkeit Schottlands vor zwei Jahren hat die EU-Frage zumindest bisher keine spürbare landesweite Bewegung ausgelöst. Wenn dieser Tage jemand die Basis erreicht, dann sind es die EU-Gegner, die vor Einkaufszentren Flugblätter verteilen, an Haustüren klingeln und zögernde Wähler für sich zu gewinnen versuchen. Der Autor Frankie Boyle meint: „Wir haben ein nationales Referendum über Europa, um über die Führung in der Tory Party zu entscheiden.“

Die offizielle Kampagne beginnt in der kommenden Woche. Die Regierung wird Informationsmaterial an 27 Millionen Haushalte verteilen. Statt über die Inhalte wird über Kosten und Formalitäten diskutiert. „Verrückt“, nannte der Londoner Bürgermeister Boris Johnson, Wortführer der EU-Gegner, die Ausgaben von mehr als neun Millionen Pfund für das Flugblatt.

Die demografische Verteilung der Sympathien diktiert die Strategien: Zunehmend setzen die EU-Gegner auf das, was sie den Anhängern vorwerfen, nämlich Angstmache. Zuerst veröffentlichten sie eine Liste von 50 Schwerverbrechern, die angeblich wegen laxer EU-Bestimmungen nach Großbritannien einreisen konnten. Dann erklärten sie, das staatliche Gesundheitswesen sei von der EU bedroht. Beide Themen sind Hauptsorgen der älteren Generation.

Umgekehrt ist es den EU-Befürwortern bisher nicht gelungen, ihre Anhänger mit einem „Projekt Hoffnung“ zu mobilisieren. Erziehungsministerin Nicky Morgan warnt zwar: „Wenn Großbritannien die EU verlässt, werden die jungen Menschen am meisten darunter leiden.“ Eine positive Vision blieb sie freilich ebenso schuldig wie Cameron. Stattdessen dominieren auch hier Warnungen: Die Deutsche Bank rechnet bei einem Brexit mit einem Einbruch des Pfunds von 15 Prozent. Der Landwirtschaftsverband NFU warnt vor „fünf Prozent höheren“ Lebensmittelpreisen.

Der Schriftsteller und frühere Labour-Angeordnete Chris Mullin sieht unter der Oberfläche tiefere gesellschaftliche Kräfte in Richtung eines EU-Austritts: „Was für das Establishment die Frage der Souveränität des Landes ist, stellt für andere Klassen das Thema Einwanderung dar“, sagte er der „Presse“.

Cameron und die Panama-Papers.
Der britische Premier David Cameron hat vier Tage nach der Enthüllung der Panama-Papers eine Beteiligung an einer Briefkastenfirma seines verstorbenen Vaters Ian eingeräumt.
Er und seine Frau hätten 5000 Einheiten von Blairmore Investment Trust besessen, sagte der Regierungschef in einem TV-Interview. Die Anteile seien für etwa 30.000 Pfund im Jänner 2010 – vor seinem Amtsantritt – verkauft worden. Er habe alle vorgeschriebenen Steuern bezahlt. Downing Street 10 hat noch am Montag erklärt, die Investitionen Camerons seien dessen „Privatsache“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.04.2016)

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