Die „Breaking Bad“-Nachfolgeserie „Better Call Saul“ über den Anwalt Jimmy McGill wird nicht genug gewürdigt. Das sollte man nachholen - spätestens jetzt, zum Finale der zweiten Staffel.
In einer Szene aus der zweiten Staffel von „Better Call Saul“ übt Charles McGill, Bruder der Hauptfigur Jimmy McGill (später wird er sich Saul Goodman nennen), Klavier. Er nimmt den Deckel von seinem Metronom, richtet sich die Noten her und beginnt zu spielen. Verspielt sich. Beginnt von vorne. Verspielt sich wieder. Beginnt erneut. Das Metronom verfolgt dabei unerbittlich seinen Takt. Die Szene dauert mehrere Minuten – und fordert von mir als Zuseherin Geduld ab. „Better Call Saul“ nimmt das Tempo raus. Wenn man actionreichere Serien gewöhnt ist, dann kann das ganz schön anstrengend sein, sich auf dieses Tempo einzustellen.
Warum es sich lohnt, ein wenig Geduld in „Better Call Saul“ zu investieren? Die Serie ist clever konstruiert. Ohne jetzt ein Beispiel zu nennen (man will ja nicht spoilern): jede kleine List, jede Abkürzung zieht eine weitere Lüge nach sich. Ein schlauer Trick mag die Zuseher in der einen Folge verblüffen und vergnügen, in der nächsten hat er ungeahnte Konsequenzen. So bauen sich die Folgen langsam auf und das Drama entfaltet sich – ähnlich wie bei „Breaking Bad“ - erst allmählich, und oft in den alltäglichsten Situationen, aber unaufhaltsam. „Better Call Saul“ ist somit ein Drama über die Nicht-Planbarkeit des Lebens und - schließlich geht es um Anwälte - über Grenzen der Gerechtigkeit.
Ein Sack voller juristischer Tricks
Die Serie lebt natürlich auch von den Figuren: Jimmy McGill (Bob Odenkirk) war als Saul Goodman in „Breaking Bad“ vor allem ein – schriller, man denke an seine Hemden – Sack voller juristischer Tricks. Der Anwalt mit den vielen Prepaid-Handys in der Schublade und dem im Büroversteck gebunkerten Bargeld. In „Better Call Saul“ ist er ein Zweifler. Er weiß, wo seine Stärken liegen, aber er kann oft nicht abschätzen, wie sich eine Situation entwickeln wird. Er reitet so immer wieder seine Lieben mit ins Schlamassel. Kein Wunder also, dass er – das verraten schon die ersten Minuten der ersten Folge – am Ende allein sein wird.
Im Haupterzählstrang von „Better Call Saul“ (wie in „Breaking Bad“ gibt es Vorblenden) ist er noch mit der cleveren und weit ehrlicheren Anwältin Kim Wexler (Rhea Seehorn) zusammen. Zu dem Figurenquarttet, das das Herz der Serie bildet, gehören außerdem Jimmys Bruder Charles „Chuck“ McGill (Michael McKean) und Michael „Mike“ Ehrmantraut (Jonathan Banks). Es ist ein Genuss, dem stoischen Gerechten Mike bei seinen Ränken – die, obwohl geschickt eingefädelt, immer wieder schief gehen – zuzuschauen.
Auch Chuck ist eine faszinierende Figur: der begnadete und passionierte Jurist leidet an „Elektronsensibilität“, vermutlich aber vielmehr an Panikattacken und Depression, und fühlt sich trotzdem seinem Bruder, der sich mit erstaunlicher Geduld um ihn kümmert, moralisch überlegen. Mehr noch: Chuck legt Jimmy Steine in den Weg, aus purer Eifersucht. Der große Bruder ist ein bemitleidenswertes Ekel.
Serienerfinder Vince Gilligan sagte kürzlich, er wisse nicht, wohin Jimmys Weg führen werde. Ich hoffe, er meint das nicht ganz ernst und hat Jimmys Weg zumindest im Groben im Kopf – denn die Stärke von „Breaking Bad“ war ja auch, dass die Serie insgesamt rund war, einen Bogen spannte, abgeschlossen war.
Auf Netflix ist seit gestern, Dienstag, nun die gesamte zweite Staffel zu sehen. Staffel drei ist in Planung.