Feuerwehrmänner gehen Garten für Garten ab. Die Geigerzähler schlagen überall aus.
Schöne, warme Tage Ende April in Krems. Die Eltern stehen knietief im schmutzigen Wasser des Schwimmbads im Garten und schrubben die Wände sauber. Neues Wasser wird eingelassen. Am Abend liegt die Mutter mit fast 40 Grad Fieber im Bett. Sie glaubt, einen Sonnenstich zu haben. Ein Arzt wird später von Strahlenfieber sprechen. Doch zu diesem Zeitpunkt weiß noch niemand irgendetwas. In den Nachrichten ist erstmals von erhöhter Radioaktivität in Teilen Skandinaviens zu hören. Die Ursache ist unklar.
Am nächsten Tag gehen wir mit der Klasse auf den Sportplatz. Es hat geregnet, wir würden lieber drinnen Volleyball spielen, aber wir sollen Weitspringen üben. Wir finden den nassen Sand ekelig. Einige Tage später wird der gesamte Sand aus der Grube ausgehoben und entsorgt. Nicht nur auf den Sportplätzen. Spielplätze werden gesperrt, Sandkisten dekontaminiert. Dazwischen liegen Tage, die sich in unser Gedächtnis eingebrannt haben.
Es regnet, teilweise heftig. Am 1. Mai ist der Himmel wieder blau. Im Radio heißt es, Kinder sollen nicht im Freien spielen. Weitere Empfehlungen für den Feiertag kommen im Stundentakt: keine Wäsche draußen aufhängen, keinen Salat aus dem Garten essen. Die Stimmung ist gedrückt. Am nächsten Tag kaufen die Eltern Konserven und Trockenmilch und stapeln sie im Keller. Der Gesundheitsminister sagt: „Esst's, was euch schmeckt.“
Feuerwehrleute aus dem Ort kommen mit Geigerzählern und gehen Garten für Garten ab. Der Lärm ist unglaublich, so laut schlagen die Messgeräte aus. Wir können von der Gefahr nichts sehen, nichts riechen, nichts schmecken. Die Bedrohung ist unsichtbar und dennoch seltsam körperlich. Wir sind dreizehn Jahre alt. ?
("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.04.2016)