"1. Mai ist wichtiger denn je"

(c) Clemens Fabry
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Gisela Zipfinger, die in einer Wäscherei arbeitet, sieht Errungenschaften der Sozialdemokratie wieder gefährdet.

Ein Acht-Stunden-Tag und eine Versorgung, wenn man krank oder alt ist: Forderungen, die im Jahr 1890 beim ersten Aufmarsch der Sozialdemokraten zum 1. Mai im Wiener Prater erhoben wurden, sind für Gisela Zipfinger derzeit so aktuell wie damals. „Wir müssen heute um solche Errungenschaften wieder raufen“ – der 1. Mai ist für die 53-Jährige wichtiger denn je. Überall werde versucht, die Leistungen zu kürzen, ärgert sie sich.

Sie arbeitet seit 1986 in der Wäscherei Initial Austria in Amstetten. Als sie vor 30 Jahren als ungelernte Kraft dort begann, war das Unternehmen mit damals 35 Mitarbeitern ein klassischer Familienbetrieb. Als der Eigentümer 2005 in Pension ging, wurde das beträchtlich gewachsene Unternehmen an einen internationalen Konzern verkauft. Im Vorjahr musste gut die Hälfte der 140 Mitarbeiter den Betrieb verlassen. Dass Arbeit und Einsatz immer weniger honoriert werden, ärgert Zipfinger.

Die Niederösterreicherin hat schon mit 17 Jahren ihr erstes Kind bekommen. Nach dem Abbruch der Handelsschule arbeitete sie als Kellnerin und Putzfrau. Eine Freundin vermittelte ihr den Job in der Wäscherei. Zipfinger hat überall gearbeitet: Sie kennt die Handgriffe in der Warenannahme, die körperlich schwere Arbeit an den Waschmaschinen, den typischen Geruch in der chemischen Reinigung, das Bügeln oder die Hemden- und Hosenpresse. „Ich bin die Einzige in der Firma, die alle Bereiche gelernt hat.“ Seit 2006 ist Zipfinger als Betriebsratsvorsitzende des Unternehmens freigestellt.


Niedriglohnbranche. Sie arbeite in einer absoluten Niedriglohnbranche, erzählt die Frau. Es ist schwierig, über die Runden zu kommen. Früher hat ihre Großmutter, bei der sie aufgewachsen ist, sie finanziell unterstützt. Sonst wäre es mit zwei Kindern nicht gegangen. Die Großmutter war es auch, die ihr politisch den Weg gewiesen hat. Sie stammte aus einer Unternehmerfamilie, war aber immer sozialdemokratisch. Ihre jüngere Tochter studiert in Wien Politikwissenschaft – mit einem Stipendium. Ohne diese Unterstützung ginge es nicht. „Mir war wichtig, dass sie etwas macht, was ihr Spaß macht“, erzählt die Arbeiterin. Wäre es eine Lehre gewesen, hätte es genauso gepasst. „Facharbeiter sind gesucht.“

Vollzeit möchte Zipfinger nicht arbeiten; sie würde nur 120 Euro mehr bekommen: „Das ist es mir nicht wert.“ Der 1. Mai, oder eigentlich der Abend davor, ist im Terminkalender reserviert. Nicht für den Maiaufmarsch, sondern für das Maibaumaufstellen der SPÖ Amstetten. Nicht, um zu feiern, sondern, um zu arbeiten: Sie betreut das Kuchenbuffet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.05.2016)

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