In Südtirol fühlt sich jeder als Minderheit

Italiener vor Siegesdenkmal in Bozen
Italiener vor Siegesdenkmal in Bozen(c) Die Presse (Arora)
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Als verlorene Österreicher verstehen sich die Südtiroler längst nicht mehr. Als Italiener ebenso wenig: Südlich des Brenners bildet sich – trotz rechter Störaktionen – langsam eine eigene Identität heraus.

Zu Füßen des Siegesdenkmals in Bozen liegen sich Sergio Bosa und seine Freundin Sarah Tettamanti in den Armen. Nicht, weil das junge Pärchen Gefallen an dem umstrittenen, einstmals von Mussolini erbauten Wahrzeichen findet. Sondern „weil es Schatten spendet“. Den meisten Boznern, den deutsch- wie auch den italienischsprachigen, ist das 1928 eingeweihte Monument, das sie abfällig „Faschistentempel“ nennen, verhasst. Es ist ein Relikt vergangener Zeiten, als Italiener und deutschsprachige Südtiroler einander noch spinnefeind waren. „Diese Zeiten sind zum Glück vorbei“, erklären Sergio und Sarah. Sie selbst sind der beste Beweis dafür.

Sarah wuchs in Rom auf, spricht jedoch perfekt Deutsch. Ihr Vater ist deutschsprachiger Südtiroler. Sergio kommt aus Meran, spricht aber kaum Deutsch, seine Eltern sind Italiener. Heute leben beide in Bozen und bezeichnen sich als Südtiroler. „Für mich ist das hier meine Heimat“, sagt Sergio, „es ist weder Italien noch Österreich. Es ist eine Mischung aus beidem.“ Sie wünschen sich, dass Südtirol „eine richtige Autonomie“ bekommt, „mit zwei geschützten, gleichberechtigten Sprachgruppen“.


Fluss als Trennlinie. Doch sie wissen auch, dass sowohl auf deutscher als auch auf italienischer Seite noch immer der Hass geschürt wird. „Die Rechtsextremen sind unser großes Problem“, sagt Sergio und deutet auf das Siegesdenkmal, „auf der einen Seite die Neofaschisten, auf der anderen die Neonazis.“ Zwar habe der Großteil der Jugend das separatistische Denken längst überwunden: „Doch in letzter Zeit verzeichnen die Extremisten wieder mehr Zulauf, gerade unter den jungen Leuten.“ Warum das so ist, können sich Sergio und Sarah nicht erklären: „Man hat diese Fehler in Südtirol schon einmal gemacht. Man sollte daraus lernen, sie nicht wiederholen.“

„Das ist eine bedenkliche Entwicklung“, sagt auch Angelika Carfora. Die 34-jährige Boznerin kommt an Sommertagen gerne hierher, an die Ufer der Talfer. Der Fluss gilt als Trennlinie zwischen dem italienischen und deutschsprachigen Teil Bozens. Rund drei Viertel der Bevölkerung in Südtirols Hauptstadt sprechen Italienisch als Muttersprache, knapp ein Viertel Deutsch.

Gut 90 Jahre nach der Angliederung Südtirols an Italien leben die beiden Sprachgruppen meist neben-, nur selten miteinander. „Drüben“, jenseits der Talfer, beginnt der weniger herzeigbare, italienische Teil Bozens. Graue Mietskasernen und Plattenbauten prägen das Stadtbild. „Herüben“, wo die schmucke historische Altstadt liegt, leben vornehmlich die Deutschsprachigen. Mit ein Grund dafür, dass manche Italiener sich in Südtirol benachteiligt fühlen. „Jeder gefällt sich hier in der Opferrolle einer Minderheit“, sagt Angelika Carfora. Die deutschsprachigen Südtiroler fühlen sich als Minderheit in Italien. Die Italiener in Südtirol als Minderheit unter Deutschsprachigen.

Carfora selbst passt perfekt an diesen Ort, denn sie fühlt sich beiden Kulturen zugehörig: Ihr Vater ist Italiener, ihre Mutter deutschsprachige Südtirolerin. Sie spricht beide Sprachen fließend. Doch dieser Mix der Kulturen war nicht immer einfach, wie sie erklärt: „Ich fühlte mich immer angegriffen, egal, ob nun über Italiener oder über Deutschsprachige gelästert wurde.“ Heute seien ihr derlei Sticheleien egal. Meistens. Denn im Vorbeiflanieren am Siegesdenkmal kann sich auch Carfora die Bemerkung nicht verkneifen, dass „es schon eine Frechheit ist, wenn da in großen Lettern prangt, die Italiener hätten den Südtirolern Sprache und Kultur gebracht“.

Angelika Carfora wuchs in Südtirol auf, verbrachte während und nach ihrem Studium der Politikwissenschaften aber 13 Jahre in Innsbruck. Seit einem Jahr ist sie zurück in Bozen. Eine typisch Südtiroler Akademikerkarriere. Die meisten der Deutschsprachigen studieren im benachbarten Österreich. „Weil sie denken, es sei dort billiger als in Italien.“ Als Österreicherin fühlt sich die Heimgekehrte dennoch kein bisschen. Auswandern käme für sie nicht infrage. Auch, weil die wirtschaftliche Situation in Südtirol sehr gut sei.

Eine Oase der Autonomie. Das liegt nicht zuletzt am Autonomiestatus der Region und dem Schutz der deutschsprachigen Minderheit. Südtirol ist die reichste Provinz Italiens, Arbeitslosigkeit ist praktisch ein Fremdwort. „Uns geht es sehr gut. Südtirol ist wie eine Oase. Die Italiener fühlen sich da oft ein wenig benachteiligt“, bestätigen Brigitte Knapp und Elisabeth Zieglauer. Die jungen Frauen stammen aus Bruneck, aus deutschsprachigen Familien.

Dennoch fühlen sich Knapp und Zieglauer, die mehrere Jahre beruflich in Wien und Innsbruck verbracht haben, kein bisschen als Österreicherinnen. „Dazu sind die Kulturunterschiede zu groß“, sagen sie. Sie sehen das als Vorteil: „Wir können uns die Rosinen aus zwei Kulturen herauspicken. Dieser Mischmasch ist toll.“ Bei den Männern zum Beispiel, sagt Zieglauer: „Die Italiener, in Sachen Leidenschaft kein Vergleich zu Österreichern.“ Die Elterngeneration denke da noch anders, sagt Knapp: „Würde ich einen Italiener als Freund heimbringen, hätte ich ein Problem.“ Ihr Vater spricht bis heute kein Wort Italienisch, Politik werde zu Hause tunlichst als Gesprächsthema vermieden: „Diskussionen darüber enden immer im Streit.“

Die jungen Frauen sind zwar überzeugt, dass der Konflikt zwischen den Sprachgruppen weitgehend beigelegt ist, „aber es braucht nur irgendein blödes Ereignis, und er flammt wieder auf“. Daher befürworten beide, dass Österreich weiterhin, wenn auch nur auf dem Papier, als Schutzmacht Südtirols fungiert. Denn: „Rechtsextreme schüren den Konflikt noch immer.“


Rechte Provokateure. Auf deutscher Seite seien dies die Schützen: „Jene jungen Männer, die heute in Bruneck in Schützentracht aufmarschieren, sind bis vor fünf Jahren noch in Springerstiefeln und Bomberjacke herumgelaufen.“ Auf der anderen Seite seien es italienische Neofaschisten, die Jahr für Jahr mit Kranzniederlegungen beim Bozner Siegesdenkmal oder dem Brunecker Alpini-Denkmal für Provokationen sorgen. „Heuer war es schlimm“, sagt Zieglauer, „im April haben 600 Carabinieri Bruneck besetzt, weil ein paar Idioten dort ihren Kranz niederlegen mussten“. Zugleich waren die Schützen als Gegendemonstration aufmarschiert.

Norbert Rier, Sänger der Kastelruther Spatzen, Südtirols bekanntester Volksmusikgruppe, versteht „die Träume mancher, die wieder zurück zu Österreich wollen“. Das würde von der Mentalität her sicher gut passen, sagt er. „Aber uns geht es gut hier, dank der Autonomie.“ Solange Südtiroler ungestört Brauchtum und Tradition pflegen können, besteht für ihn keine Notwendigkeit, den Status quo zu ändern.

Kritischer sieht dies der Exil-Südtiroler Georg Kofler, der sich als Manager der TV-Sender ProSieben und Premiere einen Namen gemacht hat und heute im Energiesektor in Deutschland tätig ist: „Ich bin immer gerne in Südtirol. Es ist dort einzigartig. Diese Mischung aus österreichischer, Tiroler, deutscher und italienischer Kultur ist inspirierend und lebensbejahend.“ Kofler sieht seine Heimat auf dem richtigen Weg „hin zu mehr Weltoffenheit und europäischem Denken“.

Am 20. September wird genau dieser Weg einen Dämpfer einstecken müssen. Beim großen Festumzug zu Ehren des Andreas-Hofer-Gedenkjahres 2009 in Innsbruck wollen die Südtiroler Schützen die Dornenkrone – als Symbol für das Leiden der Südtiroler, das ihnen durch die Trennung von Österreich 1918 zugefügt wurde –, mittragen. Die Mehrheit diesseits und jenseits des Brenners, von der Politik bis hin zu den Nordtiroler Schützen, lehnt das ab. Vor allem, weil längst niemand mehr unter der Trennung leidet. Wie das Bozner Siegesdenkmal verstehen sie die Dornenkrone als Relikt längst vergangener Zeiten. Auch Georg Kofler bezeichnet diesen „verknöcherten Traditionalismus“ als überkommen: „Weil er in eine Sackgasse führt.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2009)

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