Berg-Karabach: "Verhandlungen unmöglich, solange geschossen wird"

Ein armenischer Soldat in Berg-Karabach. Im April gab es heftige Kämpfe.
Ein armenischer Soldat in Berg-Karabach. Im April gab es heftige Kämpfe.(c) REUTERS (STAFF)
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Armeniens Vizeaußenminister gibt im Interview mit der "Presse" Aserbaidschan die Schuld für die Eskalation.

Die Presse: Sind Sie bereit zu Verhandlungen mit Aserbaidschan?

Schawarsch Kotscharjan: Für eine Fortsetzung der Verhandlungen unter Vermittlung der Ko-Vorsitzenden der Minsker Gruppe muss man die Waffenruhe stärken. Solange geschossen wird, ist es unmöglich, Verhandlungen zu führen.

Theoretisch gilt die Waffenruhe. Warum hält sie nicht?

Die Waffenruhe wurde 1994 beschlossen, im trilateralen Abkommen zwischen Berg-Karabach, Armenien und Aserbaidschan über die Beendigung des Feuers und die Einstellung der Kampfhandlungen. Trotz periodischer Verletzungen bleibt sie bis heute gültig. Aserbaidschan versucht, den Minsk-Prozess zu torpedieren. Am 2. April brach Aserbaidschan durch Kampfhandlungen die Waffenruhe. Am 5. April wurde durch eine mündliche Vereinbarung die Geltung des Abkommens aus dem Jahr 1994 wieder hergestellt. Jetzt ist es wichtig, den Waffenstillstand zu festigen. Bei uns sind auch nach dem 5. April Soldaten gestorben.

Auf der Gegenseite ebenfalls, berichtet Baku.

Das kann ich nicht ausschließen, denn die Armee Berg-Karabachs ist genötigt, auf das Feuer zu antworten.

Warum ist die Eskalation gerade jetzt passiert?

Das ist eine Frage für Baku. Es könnte verschiedene Gründe haben. Es ist Bakus Politik, diesen Konflikt auf gewaltsamem Weg zu lösen. Offenbar hatte man die Illusion, einen Blitzkrieg zu führen. Das hat nicht geklappt. Im Land gibt es eine große Unzufriedenheit über das korrupte Regime. Mittels Krieg kann man ablenken.

Möglicherweise war es nur ein Testlauf. Können Armenien und Karabach ihre Bürger überhaupt schützen?

Der Krieg ist eine Gefahr für uns alle, Armenier und Aserbaidschaner. Wenn es um Kriegstechnik geht, muss man sagen: Baku ist zum Champion der Aufrüstung geworden. Aber das hat Aserbaidschan nicht geholfen, einen geplanten Blitzkrieg zu führen.

Welchen Ausweg gibt es aus der gefährlichen Situation?

Die internationalen Vermittler müssen klar den Angriff Bakus verurteilen, man darf die Augen nicht mehr verschließen. Die ganze Zeit forderte Baku die Rückgabe seiner „besetzten“ Gebiete, aber darüber, dass es auch Gebiete Berg-Karabachs unter aserbaidschanischer Kontrolle gibt, schweigt man. Die Madrider Prinzipien sprechen von der Selbstbestimmung Karabachs und der territorialen Einheit Aserbaidschans – da liegt die Chance für den Kompromiss.

Sind Sie bereit dafür?

Einen einseitigen Kompromiss wird es nicht geben. Man muss verstehen, dass es Fragen gibt, die nicht in der Kompetenz Armeniens liegen. Jerewan kann nicht sagen, wir sind bereit, ein Territorium herzugeben, wenn das Berg-Karabach betrifft. Berg-Karabach muss selbst über seinen Status entscheiden. Wir erkennen Berg-Karabach nicht an, um den Verhandlungsprozess zu erhalten.

Derzeit wird doch über eine Anerkennung durch Armenien diskutiert.

Wie Präsident Sersch Sargsjan erklärte: Führt Aserbaidschan Aggressionshandlungen in großem Maßstab durch, führt das zur Anerkennung der Republik Berg-Karabach.

Russland hat eine neue Vermittlungsinitiative gestartet. Ist Moskau wirklich Ihr Verbündeter?

Russland ist im Konflikt ein Vermittler, es muss die Balance halten. Moskau hat laut Verträgen Verpflichtungen vor Armenien. Russland hat aber auch mit Baku sehr tiefe ökonomische Verbindungen. Es ist unser Verbündeter, hat aber auch eigene Interessen an Aserbaidschan. Im Südkaukasus, in der Zone seiner Interessen, wird es immer zur Balance tendieren.

In der armenischen Gesellschaft gibt es laute Kritik an der Rolle Russlands, Stichwort Waffenverkäufe an beide Seiten.

Die armenische Seite spricht das immer wieder an, etwa auf der Ebene unseres Präsidenten. Wir verstehen, was vor sich geht, und wir haben allen Grund, unzufrieden zu sein. Russland sagt, wenn sie nicht Waffen verkaufen, dann tut es jemand anderer. Ich bin für ein vollständiges Waffenembargo in der Region für alle Konfliktparteien. Die drei Vermittler der Minsk-Gruppe, die USA, Russland und Frankreich, könnten das im UN-Sicherheitsrat durchsetzen. Das wäre richtig.

Das beträfe auch Sie.

Natürlich. Es hängt nur an der Autorität der drei Co-Chairs.

ZUR PERSON

Schawarsch Kotscharjan, 68, ist seit 2008 Vizeaußenminister der Republik Armenien. Der studierte Biologe, Spezialgebiet Molekulargenetik, ist seit der Unabhängigkeit der früheren
Sowjetrepublik Politiker, vor seinem Ministerposten war er lange Jahre Abgeordneter. [ Ministry of Foreign Affairs, Armenia ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.05.2016)

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