Berg-Karabach: Gedämpfte Erwartungen an Gipfeltreffen

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Die Staatschefs von Armenien und Aserbaidschan berieten in Wien über die Lösung des Konflikts, der zuletzt eskalierte. Im besten Fall folgen neue Gespräche – und Maßnahmen zur Deeskalation.

Moskau/Wien. Was am Vorabend des kurzen April-Kriegs in Washington nicht klappen wollte, lief am Montagabend in Wien über die Bühne: ein Gipfeltreffen zwischen den Präsidenten Armeniens und Aserbaidschans. Der armenische Staatschef, Sersch Sargsjan, und sein aserbaidschanischer Kollege, Ilham Alijew, trafen sich in der österreichischen Hauptstadt, um über die Lösung des Konflikts in der Unruheregion Berg-Karabach zu sprechen. Mit der bewaffneten Eskalation Anfang April ist beiden Seiten zumindest eines gelungen: Sie haben sich für kurze Zeit zurück ins internationale Rampenlicht katapultiert. Ob das Kräftemessen die Bereitschaft für eine Friedenslösung vergrößert hat, soll nun ausgelotet werden. Nach außen hin übten sich beide Seiten in den vergangenen Wochen jedenfalls in Kampfrhetorik.

„Die heftigen Kämpfe an der Kontaktlinie vor sechs Wochen zeigen, dass der jahrelange Status quo auf Dauer nicht haltbar ist“, sagte gestern der deutsche Außenminister, Frank-Walter Steinmeier, dessen Land derzeit den Vorsitz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) innehat. „Je länger der Konflikt andauert und je mehr die Beteiligten weiter aufrüsten, desto größer ist das Risiko einer neuen Eskalation, ja eines Krieges zwischen Aserbaidschan und Armenien.“

In den vergangenen Jahren hatte der Konflikt um die aserbaidschanische Enklave Berg-Karabach zusehends ein Schattendasein auf dem internationalen Parkett geführt. Der Krieg hatte Anfang der 1990er zu mehr als 20.000 Toten, einer Million Vertriebenen und der Eroberung des Territoriums durch armenische Truppen geführt. Im Lauf der Jahre haben sich nicht nur die Fronten verfestigt, auch die internationale Gemeinschaft schien zusehends den Status quo zu akzeptieren – ohne die De-facto-Regierung von Berg-Karabach freilich anzuerkennen. Die Verhandlungen im Format der sogenannten Minsk-Gruppe stagnierten. Die internationalen Verhandlungsführer – Russland, USA und Frankreich – mussten zusehen, wie parallel zur Verschlechterung der Lage vor Ort die Bereitschaft zum Kompromiss der Konfliktparteien sank. Der Grazer Südkaukasus-Experte Benedikt Harzl übt im Gespräch mit der „Presse“ Kritik an beiden Seiten: „Das bewusste Kokettieren mit Gewalt gehört zum politischen Repertoire der Konfliktparteien.“

Russland, das als Regionalmacht im Südkaukasus einiges mitzureden hat, ergriff nun die Initiative. Präsident Wladimir Putin sandte Außenminister Sergej Lawrow nach Baku und Jerewan, um dort mögliche Auswege aus dem wieder aufgetauten „eingefrorenen Konflikt“ zu besprechen, der im April mit mehr als 100 Toten einen traurigen Höhepunkt seit dem Waffenstillstand 1994 verzeichnet hat.

Moskaus Engagement ist in der Region nicht unumstritten: In Baku wie in Jerewan fürchtet man sich vor einem Einflussgewinn der Russen. Zudem ist vor allem im politisch offeneren Armenien eine wütende Debatte über die Doppelrolle Russlands entbrannt: Moskau, das sich nun als Friedensstifter ins Spiel bringt, liefert Waffen an beide Seiten. Lang hat es damit zugebracht, im Berg-Karabach-Konflikt die Balance halten zu wollen. Auch Moskaus Ansatz sei nach den April-Ereignissen an einem Endpunkt angekommen, sagt Benedikt Harzl: „Die mittelfristige Strategie Russlands, den Konflikt, wie er war, einzufrieren, ist gescheitert.“

Neue Gespräche?

Beobachter erwarteten, dass das Wiener Treffen einen neuen Gesprächsreigen auf höchster Ebene in Gang setzen könnte. Bisher standen sich die Forderungen nach Selbstbestimmung (Armenien und Berg-Karabach) und territoriale Integrität (Aserbaidschan) unversöhnlich gegenüber. Als Streitthema gilt auch die Rückkehr der Flüchtlinge in das Gebiet sowie die Frage, wann über den Status entschieden werden soll. Jerewan forderte zuletzt Sicherheitsgarantien von Baku. „Über Nacht wird es keine Lösung geben“, dämpfte auch Steinmeier die Erwartungen.

Realistischer als ein großer Wurf ist eine Entspannung in kleinen Schritten – eine Festigung des Waffenstillstands durch Abzug der Scharfschützen, die sich in den Schützengräben gefährlich nah gegenüberstehen, eine Überwachung der Kontaktlinie durch Drohnen und internationale Beobachter.

In einer Region, die seit mehr als 20 Jahren am Rand des Krieges lebt, könnte eine Wiederannäherung letztlich auch die ökonomische Entwicklung befördern. Aufgrund des Konflikts hat die Türkei ihre Grenze zu Armenien versiegelt, auch zwischen Aserbaidschan und Armenien gibt es bis heute kein Durchkommen – ein Umstand, der die gesamte Wirtschaft in der Region hemmt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2016)

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