Der Delegationsleiter der syrischen Opposition bei den Gesprächen in Genf legt sein Mandat nieder. Er gehört zur mächtigen „Armee des Islam“.
Genf/Ankara/Wien. Die Bemühungen, eine Friedenslösung für Syrien zu finden, haben einen weiteren Rückschlag erlitten. Der Verhandlungsführer der syrischen Opposition bei den Gesprächen in Genf, Mohammed Alloush, hat sein Mandat zurückgelegt: Die Friedensverhandlungen seien gescheitert, heißt es in seiner Begründung. Alle bisherigen drei Verhandlungsrunden in Genf seien ohne Erfolg geblieben, kritisiert Alloush. Das starrköpfige syrische Regime bombardiere weiterhin die Bevölkerung und lasse keine Hilfe in belagerte Städte. Die Staatengemeinschaft wiederum sei unfähig, ihre Resolutionen umzusetzen, die ein Ende der Belagerungen, Hilfslieferungen, den Austausch von Gefangenen und eine dauerhafte Waffenruhe herbeiführen sollten.
Alloush ist einer der Anführer der Jaish al-Islam (Armee des Islam), die eine wichtige Stellung unter den Aufständischen einnimmt. Sie ist aus mehreren auch salafistisch ausgerichteten Gruppen zusammengewachsen und gehört zur sogenannten Islamischen Front, der größten Dachorganisation von Rebellenbrigaden.
Bündnisse mit al-Qaida-Vertretern
Die Islamische Front hat mittlerweile weit mehr Kämpfer als die Freie Syrische Armee, die ursprünglich das Rückgrat des Aufstandes gebildet hat. Saudiarabien und andere Golfmonarchien unterstützen die Islamische Front offen mit Nachschub. Ohne Einbeziehung der schlagkräftigen Islamischen Front wird es deshalb schwierig werden, zu einem dauerhaften Waffenstillstand in Syrien zu finden. Von der Waffenruhe sind derzeit nur die Jihadistenorganisationen Islamischer Staat (IS) und al-Nusra ausgeschlossen. Der IS war von Anfang an auch ein Feind aller anderen Rebelleneinheiten, denn er fordert die totale Unterwerfung aller anderen unter seine Ideologie und seine militärischen und politischen Strukturen. Auch die Islamische Front verurteilt die Umtriebe des IS und bekämpft ihn. Mit al-Nusra, der offiziellen Repräsentantin von al-Qaida in Syrien, gingen einige Brigaden der Islamischen Front aber immer wieder Bündnisse ein.
Zuletzt gab es aber nicht nur Gefechte mit IS und al-Nusra, auch gemäßigte Rebelleneinheiten und Alloushs Jaish al-Islam wurden von syrischen Truppen mit russischer Hilfe attackiert. Die Stadt Aleppo wurde immer wieder von den syrischen Streitkräften aus der Luft angegriffen. Angesichts dieser andauernden Bombardierungen „gefährden die endlosen Verhandlungen das Schicksal des syrischen Volkes“, erklärte nun Alloush zu seinem Rückzug als Chef des Verhandlungsteams der Opposition.
Unterdessen rücken Kämpfer der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) und verbündete arabische Gruppen weiter in Richtung der IS-Hauptstadt Raqqa vor. Dabei erhalten sie Hilfe von US-Spezialkräften. Da sich einige der US-Elitesoldaten YPG-Abzeichen an ihre Uniformen hefteten und Bilder davon um die Welt gingen, protestierte die Türkei in Washington scharf. Die YPG sind eine Schwesterorganisation der kurdischen Guerillaorganisation PKK, die einen Untergrundkrieg gegen den türkischen Staat führt. Zugleich sind die YPG aber eine wichtige Waffe gegen den IS.
„Moskau liefert Raketen an die PKK“
Der türkische Außenminister, Mevlüt ?avuşoğlu, bot nun den USA an, gemeinsam eine „zweite Front“ beim Vormarsch auf die IS-Hauptstadt Raqqa zu eröffnen. Voraussetzung dafür sei aber, dass die YPG nicht an den Operationen beteiligt werden.
Der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdoğan, warf am Montag Russland vor, der PKK Luftabwehrraketen zu liefern. Seit dem Abschuss eines russischen Bombers durch türkische Jets herrscht Eiszeit zwischen Moskau und Ankara. Vor etwa zwei Wochen stürzte ein türkischer Kampfhubschrauber im Südosten des Landes ab. Zunächst sprach die türkische Armee von einem technischen Gebrechen, später räumte sie ein, der Helikopter könnte von der PKK abgeschossen worden sein. (APA/Reuters/w. s.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2016)