Meister aller Klassen, Rapper und Pop-Ikone

Muhammad Ali (USA, re.) und sein Verleger Willy Droemer (Deutschland / Droemer Knaur Verlag) bei der Präsentation seiner Autobiographie The Greatest auf der Frankfurter Buchmesse 1975.
Muhammad Ali (USA, re.) und sein Verleger Willy Droemer (Deutschland / Droemer Knaur Verlag) bei der Präsentation seiner Autobiographie The Greatest auf der Frankfurter Buchmesse 1975.imago/Sven Simon
  • Drucken

Muhammad Ali war eine Figur „larger than life“. Als Kriegsgegner und Held der Sixties-Gegenkultur wirkte er weit über den Boxring hinaus und inspirierte Schriftsteller, Musiker und nicht zuletzt Hollywood.

Zu nachtschlafener Zeit, um drei Uhr früh, wälzten sich im Europa der frühen 1970er-Jahre technik- und sportbegeisterte Fans aus dem Bett, um den TV-Apparat einzuschalten. Zwei globale Spektakel jenseits des Atlantiks zogen sie in ihren Bann: die Apollo-Missionen im All und die Boxkämpfe Muhammad Alis. In seiner Eloge auf den „Greatest“ formulierte Ex-Präsident Bill Clinton am pointiertesten, was die Faszination des Box-Champions aus Louisville in Kentucky ausmachte: „Boxfans auf der ganzen Welt wussten, dass sie eine Mischung aus Schönheit und Eleganz, Schnelligkeit und Stärke sahen, die vielleicht nie wieder erreicht werden wird.“

Das Tänzerische und Leichtfüßige, das mehr an einen Florettfechter gemahnte; die in Arroganz gipfelnde Lässigkeit, die in den baumelnden Armen ihren Ausdruck fand, kombiniert mit dem Showtalent eines Entertainers, der mit der Lust an der Provokation und rhythmischem Sprachgefühl Salven an Sprüchen abfeuerte, die den Rap vorwegnahmen – all dies erhob Muhammad Ali in den 1960er-Jahren in den Status eines charismatischen Popstars. Dass Bob Dylan ihm einen Song widmete („I Shall Be Free“), dass sich die Beatles und Elvis Presley mit ihm zeigten, zeugt von der popkulturellen Bedeutung des Meisters aller Klassen inner- und außerhalb des Boxrings. Sport, Kultur und Gesellschaftspolitik vermengten sich im Phänomen Ali.

Zu seinem Comeback-Fight 1970 in Atlanta nach beinahe vierjähriger Sperre fand sich das Who's who der afroamerikanischen Prominenz ein: Coretta King, die Witwe Martin Luther Kings, Diana Ross, Sidney Poitier. Ali hatte Mitte der 1960er-Jahre den Sklavennamen Cassius Marcellus Clay abgelegt, um sich der umstrittenen, radikalen Sekte des „Nation of Islam“ anzuschließen und mit deren Führer Malcolm X durch Afrika zu touren. Als er sich 1967 aus Gewissensgründen weigerte, in den Vietnamkrieg zu ziehen und eine fünfjährige Sperre plus einer hohen Geldbuße samt Entzug des Titels einhandelte, avancierte er vollends zu einer Ikone der Bürgerrechtsbewegung und der Gegenkultur der Sixties.

„Mann, ich habe nichts gegen die Vietcong. Kein Vietcong hat mich je Nigger genannt“, ereiferte er sich. „Warum verlangt man von mir, eine Uniform anzuziehen und 10.000 Meilen entfernt von der Heimat gegen braune Menschen in Vietnam Bomben abzuwerfen und Kugeln abzufeuern, während sogenannte Neger in Louisville wie Hunde behandelt und ihnen einfache Menschenrechte verwehrt werden?“ Die Suada wurde zum Mantra der Vietnam-Kriegsgegner. Aus Ärger über die Diskriminierung in seiner Heimatstadt, so kolportierte es Ali, will er sogar seine Olympia-Goldmedaille in den Ohio River geworfen haben – eine Mär, wie sich herausstellen sollte.

Hofiert im Weißen Haus.
Sieben Jahre später empfing Gerald Ford den Verfemten im Weißen Haus – wie fast jeder US-Präsident nach ihm. „Ich bin auf deinen Job scharf“, forderte Ali ihn frech heraus. Er war darauf bedacht, seinem Ruf als Großmaul nichts schuldig zu bleiben. Auf dem Zenit seines Ruhms war er weit populärer als seine Gastgeber im Weißen Haus, als Hollywood-Stars und sonstige Showgrößen.

In seinem Glanz sonnte sich ein Frank Sinatra, der sich beim Duell mit Joe Frazier im New Yorker Madison Square Garden 1971 sogar als Fotograf am Boxring versuchte. Norman Mailer, ein literarisches Schwergewicht, saß als Reporter ganz vorn in der Arena. Sein Erguss trug den Titel „The Fight“. Auch David Remnick, Chefredakteur des „New Yorker“, und die Schriftstellerin Joyce Carol Oates ließen sich vom Box-Champ zu Büchern inspirieren. „Time“ hatte ihn zuvor als „Herkules“ tituliert.

Muhammad Ali scheute indessen nicht davor zurück, seine Boxrivalen mit rassistischem Spott zu überschütten. „Ist das alles, was du draufhast?“, provozierte er Foreman, den er als „Mummy“ apostrophierte. Joe Frazier tat er als „Gorilla“ und als „Onkel Tom“ ab, als naiven Freund der Weißen – und reizte ihn so bis aufs Blut. Im Oscar-prämierten Dokumentarfilm „When We Were Kings“ fing Leon Gast die Atmosphäre in Kinshasa 1974 ein. Zaires Diktator Mobutu stilisierte den „Rumble in the Jungle“ zur Renaissance Schwarzafrikas – samt „Black Woodstock“ mit James Brown und B. B. King.

Der Nachwelt bleibt Ali als „Larger-than-life“-Figur erhalten. Hollywood setzte ihm in Apollo Creed in Sylvester Stallones „Rocky“ ein Denkmal. Als Will Smith zögerte, den Part in Michael Manns Film „Ali“ zu spielen, überzeugte ihn angeblich das Vorbild höchstpersönlich: „Mann, du bist fast hübsch genug, um mich darzustellen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Gedenken an Muhammad Ali
Mehr Sport

Großer Andrang zur Trauerfeier zu Ehren Muhammad Alis

Am Freitag wird Abschied von der Boxlegende genommen. Den Weiterverkauf der kostenlosen Tickets kritisierte die Familie als "erbärmlich".
Gedenken an Muhammad Ali
Mehr Sport

Alis Leichnam in Heimatstadt Louisville eingetroffen

Muhammad Alis sterbliche Überreste wurden per Privatflugzeug eingeflogen. Das Begräbnis findet am Freitag statt.
Mehr Sport

Muhammad Ali: Abschied von "The Greatest"

Der größte Boxer aller Zeiten wird am Freitag im Rahmen einer Beerdigungsprozession beigesetzt. Seine letzten Stunden verbrachte er im Familienkreis.
Jan 1 1960 Muhammad Ali at Dee Lake PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY ZUMAk09
Salon

Der letzte Gong nach drei Jahrzehnten Fight

Muhammad Ali, der größte Champion in der Geschichte des Boxsports, ist in der Nacht auf Samstag mit 74 Jahren verstorben. Seinen letzten großen Fight hatte er seit Anfang der 1980er ausgetragen: nämlich gegen das Nervenleiden Parkinson.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.