Neuer Stil oder Old Labour? Die Welt des Christian Kern

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Am Samstag wird Christian Kern auf dem SPÖ-Parteitag zum neuen Parteichef gewählt. Eine erste Einordnung in vier Thesen.

Ist der Mann ein Opportunist? Oder ein Menschenfischer? Gleich zu Beginn seiner Kanzlerschaft schaffte es Christian Kern, linksliberale Publizisten ebenso für sich einzunehmen wie Start-up-Unternehmer, gestandene Gewerkschafter oder rechte Sozialdemokraten. Nicht nur, weil er jedem das vermittelte, was er hören wollte. Sondern auch, weil viele einfach ihre Erwartungen in ihn projizierten. Nach den bleiernen Faymann-Jahren wurde er fast zur Erlöserfigur. Aber wofür steht Christian Kern wirklich? Der Versuch einer Einordnung.

1 Christian Kern in der Regierung: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Mit Christian Kern soll in der Regierung also wieder einmal alles anders werden. Dieses Mal wirklich. Die Rechnungshofposse hat gezeigt, dass das nicht so leicht ist. Ein neuer Kanzler macht noch keine neue Parteienkultur. Neu war allerdings, dass ein Kanzler Fehler eingesteht: Die Bestellung des Rechnungshofpräsidenten sei nicht nach seinen Vorstellungen gelaufen, gab Kern zu.

Neu ist auch der Stil im Regierungsalltag. Kern lässt sich – zum Leidwesen der ÖVP-Kollegen – alles sehr genau berichten, weshalb die Ministerratssitzungen länger dauern als unter Werner Faymann.

Inhaltlich ist noch nicht klar, wohin die Reise geht. Kern hat einen „New Deal“ versprochen, aber nicht definiert, was er darunter versteht. Freiräume und frisches Kapital für Unternehmen? Oder ein interventionistisches Programm, wie es Franklin D. Roosevelt in den 1930er-Jahren ersonnen hat, um die USA aus der Krise zu führen?

Am ehesten wird es wohl beides sein. Kern will die Wirtschaft stärken, aber auch umverteilen. Er hat Sympathien für neue Vermögens- und Unternehmenssteuern (Stichwort Maschinensteuer) erkennen lassen. Es würde nicht verwundern, wenn er sich beim SPÖ-Parteitag für eine Erbschaftssteuer oder Ähnliches ausspräche. Insgesamt, das hat der Kanzler mehrfach betont, dürfe die Steuerquote aber nicht steigen.

2 Christian Kern in der SPÖ: Ein Zentrist, kein Blairist

Wo ist Kern innerhalb der Sozialdemokratie zu verorten? Wer gedacht hat, hier käme ein Blairist ans Ruder, wurde gleich eines Besseren belehrt. Maschinensteuer ist eher Old Labour. Ein echter Linker ist der neue Kanzler, vom Habitus her Franz Vranitzky doch recht ähnlich, aber auch nicht. Kern nennt sich selbst einen Zentristen à la Matteo Renzi. Er steht also für eine Fortführung von Alfred Gusenbauers solidarischer Hochleistungsgesellschaft. Oft und gern betont er das Wort Hegemonie – vom linken Vordenker Antonio Gramsci in die politische Debatte eingeführt. Und die linken Intellektuellen versucht Kern auch zu umgarnen – für ebendiese Hegemonie. Im „Profil“ las sich das jüngst so: „Wir müssen attraktiv für jene sein, die um sechs Uhr in der Früh arbeiten gehen, und für jene, die Romane im Kaffeehaus schreiben.“

3 Christian Kern auf der Bühne: Situationselastisch-empathisch

Beim Pioneers Festival Ende Mai in der Hofburg, dem jährlichen Treffen der Start-up-Szene, musste sich Kern wie ein Popstar durch die Jungunternehmer-Menge kämpfen, um auf die Bühne zu gelangen. „Call me Christian“, rief er dann. Das Publikum war außer sich. Ähnlich groß war die Begeisterung vergangenen Samstag bei der Regenbogenparade. „Schönen Abend“, sagte der Kanzler. „Mein Name ist Christian Kern. Und ich bin hier, um mit euch für Toleranz und Vielfalt einzutreten.“

Kern ist vor allem deshalb ein guter Redner, weil er Selbstsicherheit und Empathie besitzt. Er lässt sich auf das Publikum ein, nimmt Stimmungen wahr und findet dann die richtigen Worte. Man merkt, dass er gern im Rampenlicht steht. Bei seinem Vorgänger war das nicht immer so.

4 Christian Kern in den Medien: Der Anzug sitzt. Der Außenauftritt auch

So einen Medienkanzler hatte die SPÖ seit Bruno Kreisky nicht mehr. Mit etlichen Journalisten ist der einstige Pressesprecher auch befreundet. Und er spielt auch mit ihnen, den Medien. Professionelle Kanzlerfotos werden via Instagram veröffentlicht, mitunter twittert Kern auch selbst. Den Außenauftritt absolviert er souverän, mal lässig, mal staatstragend, je nach Anlass. Der Anzug sitzt stets perfekt. Können aber auch – zielgruppenadäquat – Sakko und Jeans sein, wie bei der Regenbogenparade.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2016)

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