Nach dem Engagement des ehemaligen EU-Kommissionschefs José Manuel Barroso bei der Investmentbank Goldman Sachs entlädt sich ein Sturm der Entrüstung.
In Brüssel und Washington gehört es zu den normalsten Sachen der Welt: Funktionäre, die fast nahtlos zwischen Politik, Verwaltung und Wirtschaft hin und her wechseln. Auf dem Finanzsektor ist das besonders auffällig, so beschäftigt etwa der weltgrößte Vermögensverwalter BlackRock inzwischen den Schweizer Ex-Notenbanker Phillip Hildebrand. Solche Top-Funktionäre bringen Erfahrung mit – und vor allem Kontakte.
Meister dieses Fachs ist die US-Investmentbank Goldman Sachs. „Goldman ist überall“, schrieb der US-Autor Matt Taibbi schon 2010 in seinem berühmten Artikel im „Rolling Stone“: „Die mächtigste Investmentbank der Welt ist ein großer Vampirtintenfisch, der sich um die Menschheit wickelt und seine Tentakel in alles rammt, das nach Geld riecht.“ Die Geschichte der US-Finanzkrise lese sich deshalb wie ein „Who's who von Goldman Sachs“. Seither hat sich nicht viel geändert. Goldman hat am Freitag wieder einen dicken Fisch geangelt. Mit José Manuel Barroso konnte sie den ehemaligen Präsidenten der EU-Kommission für sich gewinnen.
„Schamlose Elite“
Als Berater und Vizechef für Europa – ohne echtes Tätigkeitsfeld außer Networking. Barroso ist nicht einmal der erste ehemalige Kommissionschef in Goldmans Diensten, Mario Monti stand auch schon auf der Gehaltsliste der Bank, aber trotzdem fällt die Reaktion auf die Personalie diesmal besonders heftig aus. So sagte der deutsche EU-Abgeordnete Sven Giegold (Grüne): „Diese elendigen Seitenwechsel von der Politik in die Wirtschaft nähren die Zweifel an der Gemeinwohlorientierung der Politik.“
Im Zuge des gerade erfolgten Brexit-Votums liegen die Nerven nicht nur in Brüssel blank. Und so musste sich Barroso, der ehemalige Anführer der maoistischen Studenten in Portugal, vor allem aus seiner Heimat Portugal und aus Frankreich herbe Kritik anhören. Der Chef des portugiesischen Linksblocks, Pedro Filipe Soares, sagte, Barroso sei Teil einer „schamlosen europäischen Elite“.
Matthias Fekl, der französische Staatssekretär für Außenhandel, schrieb auf dem Kurznachrichtendienst Twitter: „Barroso hat den Bürgern nicht gedient – und bedient sich jetzt bei Goldman Sachs. Er ist ein unanständiger Repräsentant eines alten Europa, das unsere Generation verändern wird.“ Dass Barroso ausgerechnet zwei Wochen nach der Entscheidung zum Brexit zu Goldman Sachs geht, stößt auch der linksliberalen französischen Tageszeitung „Liberation“ sauer auf. Das Engagement Barrosos erfolge mit dem „schlechtestmöglichen Timing“ und sei „ein Geschenk für EU-Gegner“. Wie auf Bestellung schrieb Marine Le Pen, Chefin des rechten Front National (FN), auf Twitter, das Engagement Barrosos sei „keine Überraschung für Menschen, die wissen, dass die EU nicht den Menschen dient, sondern der Hochfinanz“.
Brexit-Gegner
Barroso selbst hat die Entscheidung der Briten, die EU zu verlassen, als „historischen Fehler“ bezeichnet. Sein Vorgänger bei Goldman, Peter Sutherland, selbst ein ehemaliger EU-Kommissar, sagte zwei Tage nach dem Votum sogar, dass dieses aufgehoben werden müsse. Eine Möglichkeit, die von der britischen Regierung inzwischen ausgeschlossen wurde. Auch Goldman selbst hat die Kampagne gegen einen EU-Austritt tatkräftig und finanziell unterstützt.
Die jetzt erneut kritisierte „Drehtür“ geht aber auch in die andere Richtung. So war EZB-Chef Mario Draghi auch bei Goldman. Und Mario Monti ging nach seiner Zeit bei der Bank wieder in die Politik: als italienischer Regierungschef von Brüssels Gnaden. (jil)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2016)