In der Nacht auf Donnerstag wurde der früher als Religionslehrer tätige Prediger Mirsad Omerovic (34) mit 20 Jahren Haft bestraft. So wurde erstmals ein Angeklagter wegen Anstiftung zu Terrormorden verurteilt, nicht rechtskräftig
Die Geschworenen hatten es sich nicht leicht gemacht: Erst nach stundenlanger nächtlicher Beratung – sie begann am Mittwochabend und endete erst nach Mitternacht – traten sie in den schwer bewachten Schwurgerichtssaal des Grazer Landesgerichts. Dort verkündeten sie ein Urteil, das es in dieser Form in Österreich noch nie gab. Im Rahmen der in Wien und in Graz laufenden Terrorprozess-Serien wurde erstmals ein Schuldspruch wegen Mordes gefällt. Wegen Anstiftung zum mehrfachen Mord, begangen als terroristische Straftat.
Der schuldig erkannte Angeklagte war vom Staatsanwalt als einer der Vordenker der internationalen Jihadisten-Szene bezeichnet worden. Gleichsam als geistiger Brandstifter. Als „Hassprediger“.
All das will Mirsad Omerovic (34) aber keineswegs sein. Der schlanke Mann mit dem Salafisten-Bart will einfach nur ein Prediger sein. Und den „wahren Islam“ verkünden. Demgemäß dachte er in der Nacht auf Donnerstag keine Sekunde daran, den mit einer 20-jährigen Haftstrafe verbundenen Schuldspruch zu akzeptieren. Sein Anwalt, Jürgen Stephan Mertens, meldete umgehend Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an. Das Urteil ist daher nicht rechtskräftig.
Die Verteidigung hofft nun auf die kühle, von Emotionen völlig freie Beurteilung durch den Obersten Gerichtshof. Denn in Graz, so Anwalt Mertens, „war die Stimmung gegen meinen Mandanten“.
Die Verurteilung wegen Anstiftung zu Terrormorden erfolgte aufgrund von Indizien. Die Anklage führte Gräueltaten von IS-Mitgliedern, begangen an syrischen Zivilisten im Jahr 2013, ins Treffen. Im Urteil hieß es dann streng rechtstheoretisch, diese Morde seien „in der Entwicklungsstufe des Versuchs“ stecken geblieben.
Als Indizien für die Anstiftung waren vor allem die Vorträge und Predigten des 34-Jährigen von dem deutschen Islamforscher Guido Steinberg analysiert worden. Bis heute kursieren im Internet Videos von Reden des nunmehr Verurteilten – nicht umsonst nannte der Staatsanwalt den Angeklagten, der als Ebu Tejma auftrat, den „Popstar unter den Jihadisten“. In keiner dieser aufgezeichneten Predigten findet sich jedoch der eindeutige Aufruf, nach Syrien zu ziehen und sich dem IS anzuschließen. Den Geschworenen hatte aber das vorhandene Material offensichtlich ausgereicht. Sie leiteten daraus ab, dass der Angeklagte einflussreich genug war, um andere zu mobilisieren. Das wiederholte Wort des Verteidigers: „Es gibt keinen Beweis“, blieb wirkungslos; ebenso das 40-minütige Schlusswort des Angeklagten („Ich bin kein Terrorist“), das eher den Charakter einer „Schlusspredigt“ hatte.
Der zweite Mann: Doch kein Mörder
Es ging also um die Macht über andere, um die Macht, andere auf die Reise in den Jihad zu schicken. Einer dieser anderen stand ebenfalls vor Gericht. Und wurde auch verurteilt: der Tschetschenien-Flüchtling Mucharbek T. (28). Er soll als Mitglied eines IS-Trupps an den anklagegegenständlichen Morden beteiligt gewesen sein. Er bestritt dies. In seinem Fall hielt die Anklage nur zum Teil. T. wurde als Mitglied einer terroristischen Vereinigung verurteilt und auch wegen schwerer Nötigung – vom Vorwurf (unmittelbar begangener) Terrormorde wurde er aber im Zweifel freigesprochen. Die (nicht rechtskräftige) Strafe: zehn Jahre Haft.
Und weil der laut Anklage unmittelbare Täter im Urteil praktisch „wegfiel“, blieb für den Prediger ein Urteil wegen (vollendeter) Bestimmung zu Morden, die aber in der Realität nur beim Versuch geblieben seien. Dies ist die Logik des Urteils. Ein hartes Urteil, zweifellos. Die Grazer Justiz hält damit die strenge Linie, die sie in den früheren Terrorprozessen an den Tag legte. Die Wiener Behörden hingegen hatten gerade bei dem Prediger, der als Religionslehrer in einer ägyptisch-österreichischen Volks- und Hauptschule in der Bundeshauptstadt tätig war, zögerlich ermittelt. Erst die Grazer Staatsanwaltschaft hat exemplarisch durchgegriffen, nachdem Ebu-Tejma-Predigten auch in Graz ihr Publikum gefunden hatten.
Nach dem Prozess ist vor dem Prozess
Und nun? Da der in der Politik gültige Spruch „Nach der Wahl ist vor der Wahl“ im übertragenen Sinn auch für Gerichte gilt, blickt das Landesgericht Graz schon wieder nach vorn. Die nächste große Probe naht: Der viel beachtete Prozess gegen den Amokfahrer von Graz, der am 20. Juni 2015 drei Menschen tötete, Dutzende teils schwerst verletzte und damit die steirische Metropole mitten ins Herz traf, steht vor der Tür.
Die Grazer Justiz weiß, dass die Öffentlichkeit auf Erklärungen wartet, soll doch der Mann, der zum Todeslenker wurde, unzurechnungsfähig sein. Und daher nicht bestraft, sondern in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen werden. Verhandlungsstart wird wohl im Herbst sein.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.07.2016)