Der 35-jährige Jürgen Melzer schlägt in Kítzbühel seinen um 13 Jahre jüngeren Landsmann Dominic Thiem mit 6:3, 7:5.
Es war ein Spiel der Generationen, irgendwie auch ein ungleiches Duell zwischen Jürgen Melzer, 35, und Dominic Thiem, 22. Auf dem mit über 5800 Zuschauern erstmals seit der Hochzeit von Thomas Muster ausverkauftem Kitzbüheler Center Court standen sich der ehemals (Melzer) und aktuell beste (Thiem) Tennisspieler Österreichs gegenüber.
Die Rollenverteilung hätte eindeutiger nicht sein können. Melzer spiegelt die Vergangenheit wider, Thiem Gegenwart und Zukunft zugleich. Belegt wird diese Annahme durch die Weltrangliste. Melzer ist die Nummer 421, Thiem die Nummer neun, wenngleich festzuhalten ist, dass Ersterer aufgrund einer neunmonatigen Verletzungspause (Schulter) zuletzt weit zurückgeworfen wurde.
Das Turnier in Kitzbühel ist 2016 voll und ganz auf Thiem, den Top-10-Star, ausgerichtet. Er begeisterte heuer mit bereits vier Turniersiegen auf drei unterschiedlichen Belägen, wird von der internationale Presse gehypt. Der junge Niederösterreicher sinnierte vom Turniersieg in Kitzbühel. Dass dieses Vorhaben schon auf bei der ersten Etappe scheiterte, überraschte viele, nein alle.
"Wie geht das?"
Die 3:6, 5:7-Niederlage Thiems darf getrost als Sensation bewertet werden, sie war schlichtweg nicht vorhersehbar. Daran hatte auch die überzeugende Vorstellung von Melzer am vergangenen Daviscup-Wochenende (Sieg im Einzel und Doppel) nichts geändert. Thiem verstand es zu keinem Zeitpunkt der Begegnung, seine Spielidee erfolgreich umzusetzen.
Er beging ungewöhnlich viele Fehler, fand nie zu seinem für den Konkurrenten meist verheerenden Schlagrhythmus. „Jürgen hat sehr gut gespielt, ich ziemlich schwach“, urteilte Thiem, der sich eingestehen musste, nach seiner Erkrankung körperlich immer noch nicht voll wiederhergestellt zu sein. „Ich habe mich nicht so gut gefühlt.“ Melzer wiederum hatte sich trotz der Strapazen der vergangenen Tage „frisch“ gefühlt, auch das mag eine angenehme Begleiterscheinung des ungeahnten Höhenflugs sein. Der Rekord-Daviscupper sprach von einem „unerwarteten Sieg“, der umso süßer schmeckte. „Jetzt sitzen wir da und alle wundern sich wie das geht“, sagte Melzer bei der Pressekonferenz, die er mit sichtbarer Genugtuung absolvierte.
Der ehemalige Weltranglisten-Achte wusste um die besondere Situation auf dem Center Court, seine Rolle in diesem Spiel, wohl auch um die Verteilung der Sympathien auf den prall gefüllten Rängen. „Wegen mir sind vielleicht 300 Leute gekommen“, schmunzelte Melzer, der nach seiner engagierten und starken Leistung viel Applaus erntete und in der Stunde des Erfolgs auch an seinen unterlegenen Kontrahenten dachte. „Auch Dominic ist keine Maschine.“
Ein Duell unter Brüdern
Melzers Erfolg gegen Thiem ist nicht die Wachablöse der Wachablöse, die Zukunft gehört gewiss dem 22-jährigen Lichtenwörther. Doch der Erfolgslauf des 35-Jährigen nach langer Zwangspause ist erstaunlich und bemerkenswert. Heute (2. Spiel nach 14 Uhr, live ORF Sport +) könnte Melzer dieser außergewöhnlichen Comeback-Geschichte ein weiteres Kapitel hinzufügen. Im Viertelfinale trifft er auf seinen Bruder Gerald.
("Die Presse", Printausgabe 21.7.2016)