Afghanistan: Ärger über amerikanische "Frechheit"

(c) AP (Anja Niedringhaus)
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Deutschland reagiert "irritiert" auf die Kritik der Verbündeten am verheerenden Angriff bei Kunduz. US-General Stanley McChrystal hatte sich zuvor für den verheerenden Luftschlag auf zwei Tanklastzüge entschuldigt.

BONN/WASHINGTON (ag.) Der deutsche Offizier konnte seinen Ärger nur schwer verbergen: „Ich halte es geradezu für unanständig von einem Nato-Befehlshaber, dass er die Sicherheit deutscher Soldaten in Gefahr bringt, indem er in die Öffentlichkeit geht und voreilig den Eindruck erweckt, hier seien Zivilisten getötet worden“, sagte Haralj Kujat, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr, am Montag in einem Interview mit dem Nachrichtensender N24. Ziel der Attacke war niemand geringerer als US-General Stanley McChrystal, der Oberkommandierende der Internationalen Afghanistan-Schutztruppe Isaf.

McChrystal hatte sich zuvor für den verheerenden Luftschlag auf zwei Tanklastzüge entschuldigt, bei dem Ende vergangener Woche in Nordafghanistan Dutzende Menschen getötet worden waren. Die islamistischen Taliban hatten die Tanklastzüge geraubt. Der Kommandant des deutschen Militärlagers in nahen Kunduz, Oberst Georg Klein, forderte daraufhin den Angriff an, der von US-Jets durchgeführt wurde.

Der blutige Vorfall lässt nicht nur die Wogen in der deutschen Innenpolitik hochgehen. Er sorgt auch für wachsende Spannungen zwischen Deutschland und den Verbündeten. Kujats Ärger über McChrystal ist dabei nur eine Facette. Vor allem die offene Kritik mehrerer EU-Außenminister an der Militäraktion sorgt in Berlin für Verstimmung.

„Gezielte Falschinformationen“

Der deutsche Verteidigungsstaatssekretär Christian Schmidt rief die Partner auf, sich mit Äußerungen über die Aktion bei Kunduz zurückzuhalten: Die Außenminister der anderen EU-Staaten sollten nicht Spekulationen verbreiten, sondern das Ergebnis der Untersuchungen abwarten. Schmidt zeigte sich „irritiert“ darüber, dass das US-Militär einem US-Journalisten erlaubt hatte, die Nato-Ermittlungen zu dem Angriff direkt mitzuverfolgen. In der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ bezeichnen namentlich nicht genannte deutsche Militärs dieses Vorgehen sogar als „bodenlose Frechheit“. Sie beschuldigten die USA des Verbreitens „gezielter Falschinformationen“, um den deutschen Afghanistan-Einsatz zu diskreditieren.

Die „Washington Post“ hatte zuvor – unter Berufung auf das Nato-Ermittlungsteam – dem deutschen Oberst Klein vorgeworfen, zu wenig umsichtig gehandelt zu haben. Klein sei nur von einer einzigen Quelle zugesichert worden, dass bei der Aktion keine Gefahr für Zivilisten bestünde.

Merkel kündigt Erklärung an

Wie viele Opfer es bei dem Angriff gab und wie viele davon Zivilsten waren, ist nach wie vor umstritten. Laut „Washington Post“ gingen erste Nato-Schätzungen von 125 Toten aus, davon mindestens zwei Dutzend Zivilisten. Die Bundeswehr sprach zunächst von etwa 50 Toten, die allesamt Taliban seien. Ein erster afghanischer Bericht stützte diese Darstellung. Afghanistans Präsident Hamid Karzai sprach nun in einem Interview aber von zahlreichen zivilen Opfern und verurteilte die Aktion als „Fehleinschätzung“.

Am Montag räumte Deutschlands Verteidigungsminister Franz Josef Jung ein, dass möglicherweise auch Zivilisten getötet worden seien. Man dürfe aber vor dem Ende der Untersuchungen keine voreiligen Schlüsse ziehen. Bundeskanzlerin Angela Merkel will heute, Dienstag, zu dem Vorfall sogar eine Regierungserklärung abgeben. Sie kündigte noch für dieses Jahr eine Afghanistan-Konferenz an. Dabei wolle man gemeinsam mit Frankreich und Großbritannien auch über ein Zurückfahren des Engagements am Hindukusch beraten.

Die Koalition aus Union und SPD hütet sich freilich, ein mögliches Abzugsdatum der deutschen Truppen zu nennen. Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) hat damit aber weniger Probleme. Er forderte bei einem Wahlkampfauftritt Deutschlands Afghanistan-Einsatz bis 2015 zu beenden.

AUF EINEN BLICK

Kämpfer der Taliban hatten Ende vergangener Woche bei der nordafghanischen Stadt Kunduz zwei Tanklastzüge geraubt. Der deutsche Kommandant in Kunduz forderte einen US-Luftangriff an.

Die Bundeswehr gab zunächst bekannt, dass nur Taliban bei dem Angriff getötet worden seien. Andere Quellen sprechen jedoch von Dutzenden toten Zivilisten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.09.2009)

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