Afghanistan: Merkel "verbittet" sich Schelte

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Deutschlands Kanzlerin kritisiert „Vorverurteilung“ der Bundeswehr nach Luftangriff bei Kunduz. US-Militärs haben die Attacke auf die Tanklaster als Fehler kritisiert.

BERLIN/KABUL (ag., red.).Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel ließ in ihrer Regierungserklärung zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr am Dienstag eine Entschuldigung für mögliche Fehler anklingen. Doch in erster Linie stellte sie sich der ungewohnt heftigen Kritik der Verbündeten an der Militäraktion in Nordafghanistan von Ende vergangener Woche entgegen. Dem von der Bundeswehr angeforderten Luftangriff auf zwei von den Taliban geraubte Tanklastzüge sollen auch zahlreiche Zivilisten zum Opfer gefallen sein.

„Jeder in Afghanistan unschuldig zu Tode gekommene Mensch ist einer zu viel“, sagte die Kanzlerin im Bundestag und versprach eine lückenlose Aufklärung des Vorfalls. „Ich stehe dafür, dass wir nichts beschönigen werden. Aber ich stehe genauso dafür ein, dass wir Vorverurteilungen nicht akzeptieren“, meinte Merkel. „Ich verbitte mir so etwas, und zwar im Inland wie auch im Ausland.“ Das habe sie „unmissverständlich“ auch im Gespräch mit Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen klargemacht.

Der blutige Zwischenfall in Nordafghanistan sorgt seit Tagen für Spannungen zwischen der deutschen Regierung und den Nato-Verbündeten. US-Militärs und die Außenminister Frankreichs und Luxemburgs haben die Attacke auf die Tanklaster als Fehler kritisiert. Der deutsche Kommandant des Bundeswehrlagers in Kunduz, Oberst Georg Klein, hatte den Luftangriff angefordert, ein US-Kampfjet führte ihn durch.

„Bedrohung“ für deutsche Soldaten

Deutschlands Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) rechtfertigte am Dienstag erneut die Entscheidung von Oberst Klein, die Bomben abwerfen zu lassen: Der Kommandant in Kunduz sei von einer Bedrohung ausgegangen. „Denn wenn Taliban mit Gewalt in den Besitz von derartigen Tank-Lkw kommen, dann ist das eine erhebliche Gefährdung für unsere Soldaten.“ Zumal es Informationen gegeben habe, dass die Taliban Anschläge mit Tanklastwagen planen würden, sagte Jung.

Die afghanischen Aufständischen waren mit den beiden geraubten Lkw-Zügen mitten in der Nacht offenbar in einem Flussbett hängengeblieben. Oberst Klein gab an, seinen Informationen zufolge hätten sich beim Luftangriff rund um die Tanklastzüge nur Taliban-Kämpfer befunden. Anderen Darstellungen zufolge sollen sich jedoch unzählige Zivilisten vor den Lkw angestellt haben, um gratis Benzin abzuzapfen. Dann fielen die Bomben.

Nato räumt zivile Opfer ein

Wie viele Opfer der Luftangriff gefordert hat und wie viele davon Zivilisten waren, ist weiter umstritten. Zunächst war in US-Medien von über 120 Toten die Rede, darunter Dutzende Zivilisten. Die Bundeswehr wiederum gab an, nur rund 50 Taliban seien ums Leben gekommen. Mittlerweile räumen die Deutschen aber auch zivile Opfer ein. Die Nato bestätigte am Dienstag, sie gehe davon aus, dass beim Angriff auch Zivilisten starben. Klarheit sollen die noch laufenden Ermittlungen bringen, die von einem kanadischen Generalmajor geleitet werden.

In Deutschland wächst unterdessen die Kritik an der Informationspolitik des von der CDU geführten Verteidigungsministeriums: Der Fraktionschef des Regierungspartners SPD, Peter Struck, zeigte sich darüber „beunruhigt“. Und Grünen-Fraktionschefin Renate Künast forderte Jungs Rücktritt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.09.2009)

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