Spargel, Mimosen und ein prächtiger Weg zum Orakel

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Griechenland III. Auf der Suche nach Antworten sind die antiken Vorfahren die Strecke von Kirra nach Delphi gepilgert, heute herrscht hier absolute Ruhe. Der ehemalige Nabel der Welt ist nun ein Wanderweg. Orientieren kann man sich in Zentralgriechenland am Parnass, dem Berg der Musen.

Was der Wanderer einem in die Hand drückt, sieht wie ein Grashalm aus, zumindest eine robustere Version davon. Eben hat er die dünne Stange triumphierend aus einem kleinen Gestrüpp gezogen, und jetzt sagt er: „Reinbeißen!“ Tatsächlich, Wildspargel. Schmeckt wirklich gut. „Finden Sie mir mehr Spargel?“ Der Wanderer lacht und sagt ja. Ein Taschenmesser hat er auch mit, später wird er damit wilden Thymian absägen, dessen Stämme derart störrisch sind, dass man sie mit bloßen Händen kaum pflücken kann. Alles blüht auf dieser Ebene, an manchen Stellen werfen dicke Wolken Schatten in die Landschaft, an anderen leuchtet es in Grün- und Braunvariationen. Man möchte sagen: typisch Griechenland. Zypressen ragen aus der Landschaft wie Obelisken, hinten glitzert das Meer, eine uralte Steinkirche liegt auf dem Weg.

Das Interessante ist, erzählen die Mitglieder des örtlichen Bergsteigervereins, die uns abgeholt haben und durch diesen leichten Wanderweg lotsen, das Interessante ist also, dass vor uns schon so viele Menschen genau diesen Weg gegangen sind – entweder hinunter zum Hafen nach Kirra oder hinauf nach Delphi, zum Orakel. Ein antiker Umschlagplatz war diese Strecke, vielleicht haben in Kirra Ortskundige die Orakeltouristen abgefangen und nach oben gebracht, vielleicht hat es auf dem Weg Souvenirs zu kaufen gegeben. Heute herrscht hier komplette Ruhe. Die alte Stadt Chrysso, die auf dem Weg liegt, empfängt die Besucher im Dämmerschlaf, sonst hat sich über die antike Welt schönes Gestrüpp breitgemacht.

Ski fahren und schwimmen im Meer

Der Weg Kirra–Delphi oder umgekehrt ist nur einer von vielen Wander- und Spazierwegen hier in Zentralgriechenland. Nur rund zwei Autostunden von Athen entfernt kann in der Gegend rund um Delphi eine richtige Herausforderung angenommen werden: morgens Ski fahren auf dem Parnass, am Nachmittag schwimmen im Meer. Ist möglich. Guter Wein wird angebaut, Olivenöl gibt es sowieso, jede Menge antike Säulen und hübsche Ortschaften am Golf von Korinth. Die Touristen sind oft selbst Griechen, die eine Atempause von Athen brauchen.

In Kirra halten wir uns nicht lang auf. Ein Mimosenbaum blüht quietschgelb an der Strandpromenade, es windet. Wer die Wanderung früh genug angelegt hat, kann noch Amfissa besuchen, ein sehr altes Dörfchen mit Gerbereitradition. Die antiken Touristen mögen sich hier mit Leder ausgestattet haben, noch heute gibt es einige wenige Gerbereien, die das Leder nach alter Tradition produzieren. In einer Straßenbiegung bittet ein junger Mann in die große, knarzende Holzstube herein, wo ein ältlicher Herr mit Bauch und Schürze werkelt. Die Gerber erzählen von den Eigenheiten ihrer Produktion: Natürlich wird Olivenöl verwendet. Aus den meisten Lederbögen, die hier in Stapeln herumliegen, stellen sie edle Umschläge für Bücher oder auch Sattel her.

Schwertfisch und Wein

Allgegenwärtig in dieser Region ist der Parnass, dieser magische Berg, auf dem im übertragenen Sinn die Musen hausen. Besonders hübsch anzuschauen ist die weiß gezuckerte Spitze von der Hafenstadt Galaxidi aus, am besten in der Taverne sitzend, unter der warmen Sonne. Hier haben die Athener ihre kleinen Ferienhäuser. Die elegante Hafenstraße, wie die ganze Stadt überhaupt, ist überschaubar und urig, einige der Souvenirläden in den verwinkelten Gassen oben könnten mit ihrer Einrichtung auch im hippen Berlin stehen. Das Wasser ist wahnsinnig klar, ein paar Segler haben sich hier eingefunden, aber uns ist die Taverne Zygos lieber. Der Wirt lässt Schwertfisch bringen, Garnelen in Tomatensauce und Calamari. Der Wein ist aus der Region und der Sonnenuntergang eine besondere Angelegenheit.

Nun, natürlich kommt man um die Region um Delphi nicht herum, und das ist gut so. Durch das gleichnamige Städtchen zieht sich eine Hauptstraße mit Geschäften, Hotels und Wohnhäusern, gleichzeitig liegt es am Berghang und bietet einen frontalen Blick auf die Hügellandschaft. Die antike Stätte ist gemütlich zu Fuß erreichbar. Über eintausend Jahre lang war dieser Ort gewissermaßen der Nabel der Welt. Bis zum Orakel selbst führt ein leicht aufsteigender Weg, der damals mit den Schatzkammern der einzelnen Städte wie Athen umsäumt war – was von diesen Schatzkammern übrig ist, etwa Figuren und Statuen, ist im nahe gelegenen Museum zu besichtigten. Das Orakel selbst, in Gestalt der Pythia, saß in einem eigenen Gebäude, auf einem Dreistuhl zwischen einer Erdspalte, aus der Gase dampften. Die Gase versetzten die Pythien – ausgewählte Frauen aus der Gegend – in einen tranceähnlichen Zustand. Vermutlich haben sie dadurch oft wirres Zeug gesprochen, das von den „Übersetzern“ immer doppeldeutig übersetzt wurde, damit sich der Rat im Nachhinein nicht als falsch erweisen konnte. Spitzfindig, diese antiken Menschen, denkt man sich, während man auf die wild wuchernde Landschaft blickt. Ja, dieser Ort kann sich schon sehen lassen.

Auf einen Blick

Zentralgriechenland. Air Aegean fliegt mehrmals in der Woche von Wien nach Athen. Das Büro ist zu erreichen unter: +43/(0)1/236 895 611. E-Mail: aegeanaustria@tal-aviation.at. Für Informationen zu Delphi siehe: www.e-delphi.gr.

Unterkunft: Das Hotel Ganimede ist ein uriges, familiär geführtes Hotel in der Hafenstadt Galaxidi: info@ganimede.gr.

Für Weinliebhaber: Argyriou Winery & Wine Tasing Guest House. Sehr feine Gästezimmer im Weingut. Auto nötig! info@argyriouwinery.eu

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.08.2016)

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