"Die entscheidende Frage ist nicht die Burka"

Migrationsexperte Arnon Mantver
Migrationsexperte Arnon Mantver(c) Stanislav Jenis
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Integration muss in den Gemeinden stattfinden und kann nicht auf nationaler Ebene entschieden werden, sagt der israelische Migrationsexperte Arnon Mantver. Die Gesellschaften müssten lernen, Unterschiede auszuhalten.

Die Presse: Ein Teil der Integrationsdebatte in Österreich und Deutschland hat sich zuletzt auf die Frage konzentriert, ob man ein so genanntes Burka-Verbot verhängen sollte. Was halten Sie davon?

Arnon Mantver: Ich will die Bedeutung von Wohnungen, Zugang zum Arbeitsmarkt, Spracherwerb nicht herunterspielen. Aber kulturelle und emotionale Belange der Zuwanderer sind sehr wichtig. Wenn sie sich verletzt fühlen, tragen sie das viele Jahre mit sich. Man muss damit sehr sensibel umgehen. Wenn man sich beispielsweise die Zuwanderung nach Israel aus den arabischen Staaten Anfang der 1950er-Jahre anschaut, dann sieht man, dass diese Menschen bis heute Groll und das Gefühl empfinden, gedemütigt worden zu sein.

Was also heißt das für die Burka-Debatte?

Ich beziehe keine Position. Aber die Welt vermischt sich. Und Regierungspolitik im kulturellen Bereich kann sehr unsensibel sein. Natürlich muss man darüber reden. Tatsache ist, dass die Verschleierung die Menschen hier stört. Aber Akzeptanz und die Fähigkeit, Unterschiede zuzulassen, sind für unsere Gesellschaften sehr wichtig.

Bei der Burka-Debatte oder Vorschlägen wie den Ein-Euro-Jobs geht es auch um die Frage, welche Regeln man setzt und inwieweit man Einwanderer dazu zwingen kann, sich zu integrieren.

Viele von ihnen sind hier, um zu bleiben. Die Demokratien in Europa oder den Vereinigten Staaten sind nicht sehr gut darin, Zuwanderer zurückzuschicken. Aber die entscheidende Frage ist nicht die Burka. Der Kern ist die psychologische und kulturelle Bereitschaft, das Fremde zu akzeptieren.

Wie erreicht man das?

Nach unseren Erfahrungen funktioniert es in kleinen Gruppen in den Gemeinden, auf lokaler Ebene – nicht auf nationaler Ebene. Wenn Dinge diskutiert werden, bei denen man einen gemeinsamen Nenner hat: Bildung für die Kinder, Essen, Sport. Das verändert etwas. Man muss nicht die ganze Gemeinde zusammentrommeln, vielleicht 20 oder 30 Leute. Und: Einwanderer tendieren dazu, Organisationen zu formen. Nutzt sie! Tut Euch mit ihnen zusammen!

Israel hat viele jüdische Zuwanderer integriert. Aber wenn man sich den Umgang mit den Flüchtlingen aus Eritrea oder dem Sudan ansieht, sprechen wir von Zäunen, Sperranlagen, Gefängnissen.

Es gab Zeiten, in denen mehrere hundert Eritreer pro Tag nach Israel gekommen sind. Die Spannungen waren sehr hoch. Das Problem ist, dass, wenn man einmal Flüchtlinge willkommen heißt, viele andere ebenfalls kommen. Und die demokratischen Regierungen verlieren die Kontrolle, wenn die Welle zu groß wird. Das ist auch hier passiert.

Gibt es also eine Grenze, wie viele Zuwanderer eine Gesellschaft verkraften kann? Österreich hat nach 90.000 Asylwerbern im Jahr 2015 eine Obergrenze ausgerufen.

Ich weiß nicht, ob es eine in Zahlen messbare Grenze gibt. Es gibt Beispiele von Gesellschaften, die sich in einer bestimmten Zeit verdoppelt haben. Natürlich braucht es Zeit, um sie zu integrieren. Aber für Deutschland ist eine Million auf 80 Millionen nichts Unverkraftbares, Israel hatte eine Million auf vier Millionen Einwohner.

Wir haben die ganze Zeit pauschal von Zuwanderern gesprochen. Gibt es bei der Integration nicht einen Unterschied zwischen Migranten und Flüchtlingen?

Am Anfang ja. Flüchtlinge kommen traumatisierter – falls sie wirklich Flüchtlinge sind und nicht nur aus wirtschaftlicher Motivation vorgeben, es zu sein. Wenn Regierungen sagen, es ist schwierig, einen Flüchtling zu definieren – das stimmt.

In Europa vermischt sich die Debatte über Flüchtlinge mit der Angst vor Terror.

Niemand kann sich vor einem einzelnen Terroristen schützen. Man kann eine Million Flüchtlinge integrieren, und der eine Million und erste sprengt sich in die Luft.

Aber das verändert die ganze Stimmung gegen die eine Million anderer.

Das ist richtig. Aber nehmen Sie Frankreich: dort haben einmal 6000 Autos gebrannt (bei den Krawallen 2005, Anm.). Das haben wir schon vergessen. Ich kann Ihnen nicht sagen, dass das nie wieder passieren wird. Aber ich kann Ihnen sagen: Wenn Sie das Richtige tun, werden das nächste Mal vielleicht nur 1000 Autos brennen. Wenn Sie nicht das Richtige tun, werden sie vielleicht 8000 Autos in Brand stecken. Und es geht vor allem um die jungen Erwachsenen. Wenn man sie ignoriert, baut sich etwas auf, und es explodiert. Aber man kann die Explosion auch minimalisieren.

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