Erster Streit im Brexit-Lager

Großbritanniens Premierministerin, Theresa May, sprach sich gegen Zuwanderungsschranken nach australischem Vorbild aus.
Großbritanniens Premierministerin, Theresa May, sprach sich gegen Zuwanderungsschranken nach australischem Vorbild aus.(c) REUTERS (DAMIR SAGOLJ)
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Die britische Premierministerin Theresa May schließt ein Punktesystem für EU-Einwanderer aus und erntet dafür massive Kritik. Internationale Handelspartner warnen vor Brexit-Folgen.

London Die britische Premierministerin, Theresa May, hat ihren ersten Krach mit dem Lager der EU-Gegner. Nachdem May am Rande des G20-Gipfels in China die Einführung eines Einwanderungssystems nach australischem Vorbild ausgeschlossen hatte, sagte gestern, Montag, der Wortführer des Brexit-Lagers, Nigel Farage: „Es besteht bereits großer Unmut im Land über Ihr Zögern, Artikel 50 auszulösen. Ihre Ablehnung einer Immigrationsregelung, für die so viele den EU-Austritt gewählt haben, zeigt eine ernsthafte Abwendung.“ Wer das Votum der Briten nicht respektiere, müsse sich auf „gewaltige Konsequenzen bei der nächsten Wahl“ gefasst machen.

Für das Brexit-Lager haben der heutige Außenminister, Boris Johnson, und der damalige Justizminister, Michael Gove, während der Kampagne die Einführung eines Einwanderungssystems nach australischem Vorbild gefordert. Dabei werden nach Kriterien wie beruflicher Qualifikation, Sprachkenntnissen, Arbeitsmarktbedarf, Familienverhältnissen Punkte vergeben. Für eine Einwanderungs- und Arbeitserlaubnis müssen Bewerber Punkte- und Altersvorgaben erfüllen.

Experten warnten, dass Länder mit Punktesystem wie Australien, Kanada und die USA in der Realität höhere Einwanderungszahlen haben als Großbritannien. Während im Vereinigten Königreich der Ausländeranteil 2015 bei 13,2 Prozent lag, waren es etwa in Australien 28,8 Prozent. Eine Sprecherin von May stellte gestern klar: „Ein Punktesystem würde Ausländern bei Erfüllung gewisser Kriterien das Recht geben, nach Großbritannien zu kommen. Ein Einwanderungssystem, das für Großbritannien funktioniert, muss aber sicherstellen, dass die Entscheidung über die Immigration bei der Regierung bleibt.“

Das Einwanderungsthema stellt sich immer mehr als zentraler Punkt für die bevorstehenden Brexit-Verhandlungen heraus. Die harten EU-Gegner wollen um jeden Preis ein Ende der Personenfreizügigkeit, selbst wenn dafür der künftige Zugang Großbritanniens zum EU-Binnenmarkt geopfert werden müsste. Auf einer Regierungsklausur in der Vorwoche schien May dieser Position zu folgen. Nun ist sie aber erstmals auf Konfrontation zu den Scharfmachern gegangen. Einer von ihnen, Brexit-Minister David Davis, erklärte dem Unterhaus gestern in der ersten Sitzung nach der Sommerpause, der EU-Austritt sei „eine riesige Chance, die wir nutzen werden“.

Japan bittet um „Soft Exit“

Dagegen warnte US-Präsident Barack Obama in der gemeinsamen Pressekonferenz mit May, es werde „einer Menge harter Arbeit“ bedürfen, negative Folgen des Brexit zu verhindern. Das japanische Außenministerium entschied sich zu dem beispiellosen Schritt, auf seiner Website ein 15-seitiges Dossier zu veröffentlichen, in dem London eindringlich zu einem „Soft Exit“ aus der EU aufgerufen wurde: „Japanische Unternehmen, die ihre Europazentralen in Großbritannien haben, könnten sich entschließen, nach Kontinentaleuropa abzuwandern, sollten EU-Gesetze in Großbritannien nicht länger gültig seien.“

Die Hälfte aller japanischen Investitionen in die EU gingen bisher nach Großbritannien. Die Investitionen liegen nach japanischen Angaben zur Zeit bei 59 Milliarden Dollar, mehr als 140.000 Arbeitnehmer in Großbritannien sind in 1300 japanischen Unternehmen beschäftigt. Wie das Außenministerium in Tokio zudem erinnerte: „Viele unserer Unternehmen kamen auf britische Einladung ins Land.“

May selbst warnte zuletzt ihre Landsleute, dass „schwierige Zeiten bevorstehen“. Nach der Budgetrede von Schatzkanzler Philip Hammond im Herbst „werden die Details klar werden, wie wir uns positionieren werden“. Bis dahin ist London offenbar gewillt, den einstigen EU-Partnern einiges an Geduld abzuverlangen. Der italienische Minister für Wirtschaftsentwicklung, Carlo Calenda, klang schon etwas genervt, als er gestern der Nachrichtenagentur Bloomberg sagte: „Wir können nicht zwei Jahre damit verschwenden, mit den Briten darüber zu verhandeln, wie wir sie dabei behalten können, ohne dass sie überhaupt dabei sein wollen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.09.2016)

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