Nordkorea: Warum Kim seine Atombombe testete

Atomtest in Nordkorea
Atomtest in NordkoreaReuters
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Durch Nordkoreas Atomtest entsteht in Ostasien eine völlig neue Lage: Pjöngjang setzt künftig auf absolute atomare Abschreckung.

Tokio/Pjöngjang. Anfangs schien es nur ein heftiges Erdbeben mit einer Stärke von 5,3 zu sein, aber auffallend schnell bestätigte das Staats-TV in Pjöngjang: Nordkorea wagte am Freitag den bisher explosivsten Atomtest seiner Geschichte. Südkoreas Militärs gehen von einer Sprengkraft von etwa zehn Kilotonnen aus, US-Experten vom Middlebury Institut für Internationale Studien in Kalifornien schätzten die Wucht der Detonation dagegen auf 20 bis 30 Kilotonnen. Das wäre mehr als die erste Atombombe der Welt, die im August 1945 über Hiroshima abgeworfen wurde.

Bei dem jüngsten Atomtest des stalinistischen Regimes handelt es sich also um alles andere als nur um Routine, obwohl es heuer bereits Nordkoreas zweiter Nuklearversuch und der fünfte insgesamt ist. Sonst folgte das übliche Prozedere: Pjöngjang meldet, Staatschef Kim Jong-un habe die Explosion persönlich beaufsichtigt und anschließend „mit Stolz“ verkündet, dass sein Land „am 58. Jahrestag der Staatsgründung unserer ruhmreichen Volksrepublik in die erste Reihe der Militärmächte mit einer voll entwickelten Fähigkeit zu atomaren Angriffen aufgerückt ist“.

„Wahnsinnige Rücksichtslosigkeit“

Südkoreas Staatspräsidentin Park Geun-hye sprach von einer „wahnsinnigen Rücksichtslosigkeit“ und rief den nationalen Verteidigungsrat ein. US-Präsident Barack Obama warnte die Führung in Pjöngjang vor „ernsthaften Konsequenzen“. Japan will den UN-Sicherheitsrat alarmieren. Doch selbst wenn dort neue Sanktionen beschlossen werden, wird sie das nordkoreanische Regime mit Rückendeckung seiner chinesischen Freunde wahrscheinlich auch diesmal weitgehend ignorieren. Schon jetzt verbieten mehrere UN-Resolutionen Nordkorea Atomversuche und ballistische Raketentests.

Diese Hilflosigkeit kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass in Fernost eine völlig neue Lage entsteht. Beinahe unisono sind sich Sicherheitsexperten in Seoul einig: Kim Jong-un hat mit dieser Provokation den Rubikon überschritten. Anders als seine beiden Vorväter in der Kim-Dynastie sucht der junge Kim nicht länger die Balance zwischen brutaler Herausforderung und dem Abtrotzen von Wirtschaftshilfe durch scheinbares Wohlverhalten zum Rest der Welt, vor allen aber gegenüber Südkorea. Denn früher setzte das Regime auf das bewährte Mittel, in den kurzen Verständigungsphasen so viel wie möglich an Geld und Anerkennung herauszupressen. Manchmal schien es, Pjöngjang strebe nichts anderes als einen Frieden mit Washington „auf Augenhöhe“ an, wozu sich die gelegentliche Atomdrohung als hilfreich erweisen könnte. Das auch von China mit Wohlwollen unterstützte Konzept sollte – zumindest in der Theorie – zum Truppenabzug der USA aus Südkorea führen. Ohne US-Präsenz im Süden hätte sich Peking sogar eine Wiedervereinigung Koreas vorstellen können.

Damit dürfte nun Schluss sein, denn eine Atommacht Nordkorea fordert zwingend eine US-Militärpräsenz. Erst zu Wochenbeginn, und bestimmt nicht zufällig während des G20-Gipfels in der ostchinesischen Stadt Hangzhou, hatte der Machthaber erneut Raketen in Richtung Japan abfeuern lassen. Diese Unverfrorenheit kommt einem bewussten Paradigmenwechsel gleich.

Kim III. setzt also offenbar mit aller Macht auf Abschreckung durch Atomwaffen. Das hat rational nachvollziehbare Gründe. Die finanziellen Mittel des altstalinistischen Regimes sind zu limitiert, um sich weiter ein teures Millionenheer leisten zu können. Aber eine innere Abrüstung durch die Verkleinerung der konventionellen Armee ist im Kim-Kalkül nur durch den Ausbau der atomaren Bedrohungsstrategie möglich. Kim und Genossen scheinen zu glauben, dass sie damit den Fortbestand ihres Regimes garantieren können – das jetzt niemand mehr angreifen kann, ohne einen furchtbaren Krieg zu riskieren. Eine Atomkeule wäre ein bisher einzigartiges System des persönlichen Machterhalts und steht nur scheinbar im Widerspruch zu dem Bild, das Nordkorea-Experten neuerdings projektieren. Jungdiktator Kim Jong-un steht angeblich mit dem Rücken zur Wand. Als Beweis dafür gilt eine auffällige Absatzbewegung von Elite-Diplomaten und anderen Nomenklatura-Kadern aus der zweiten Reihe. Auch Berichte über Hinrichtungen, beispielsweise eines Vize-Regierungschefs, nähren das Gerücht von der Götterdämmerung.

Ein taktischer Zungenbrecher

Der Atomtest beweist jedoch, dass man Kim Jong-un nicht unterschätzen sollte. Es ist ihm noch mehr als seinem Vater und Großvater gelungen, die kommunistische Erbmonarchie bis ins Absurde hinein zu festigen. Kürzlich ließ er – nach immerhin 23 Jahren Pause – den offiziellen Jugendverband zu einem Jubelkongress zusammentreten. Einziger Beschluss war die Umbenennung von sozialistischer Jugendorganisation Kim Il-sung (Gründerpräsident von Partei und Staat) in den grotesk klingenden Namen kimilsungistisch-kimjongilistische (Großvater Kim il-Sung und Vater Kim Jong-il) Vereinigung.

Dies dient der Nachwuchsmobilisierung: Die gesamte Nation soll sich als Teil der Kim-Familie fühlen: Kommunismus oder Sozialismus spielen dabei eine untergeordnete Rolle. Der Daseinszweck der Nordkoreaner beschränkt sich auf die Gefolgschaft der Kim-Dynastie. Wer auch immer mit dem riskanten Gedanken spielt, diese politische Genese umstürzen zu wollen, müsste dafür ein neues Wertesystem erschaffen. Damit rückt ein Sturz von Kim Jong-un fast in den Bereich des Unmöglichen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.09.2016)

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