Wien: Grüne erobern die Leopoldstadt

Die Grüne Spitzenkandidatin Uschi Lichtenegger am Sonntagabend
Die Grüne Spitzenkandidatin Uschi Lichtenegger am SonntagabendAPA/HERBERT P. OCZERET
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Die Wahlwiederholung im zweiten Wiener Gemeindebezirk brachte einen Erdrutschsieg der Grünen, die nun die Bezirkschefin stellen – nach einem Debakel für die SPÖ.

Wien. Ein Fiasko für die SPÖ und ein völlig überraschender Erfolg für die Grünen, mit dem Maria Vassilakous Partei selbst nicht gerechnet hatte. Das war am Sonntagabend die Kombination, die für einen unerwarteten Machtwechsel bei der Wiederholung der Bezirkswahl in der Leopoldstadt sorgte – der ersten Wahlwiederholung in der Geschichte der Stadt Wien.

Nach der ORF-Hochrechnung (alle vollständig ausgezählten Stimmen inklusive der Hochrechnung der Briefwahlstimmen, die erst ab Montag ausgezählt werden) konnten die Grünen gegenüber der Bezirksvertretungswahl 2015 um fast 12 Prozentpunkte zulegen und erreichten mit 34,1 Prozent den ersten Platz. Sie stellen mit Spitzenkandidatin Uschi Lichtenegger damit die künftige Bezirksvorsteherin. Die SPÖ dagegen büßte 10,1 Prozentpunkte ein, kam nur noch auf 28,5 Prozent und Platz zwei. Die FPÖ konnte leicht auf 22,6 Prozent zulegen (+0,5 Prozent), ÖVP (6,3 Prozent) und Neos (5,5 Prozent) verloren leicht.

Das vorläufige Endergebnis (ohne Briefwahl und Stimmen der nicht österreichischen EU-Bürger, die am Montag ausgezählt werden):

Das vorläufige Endergebnis (ohne Briefwahl und Stimmen der nicht österreichischen EU-Bürger, die am Montag ausgezählt werden)
Das vorläufige Endergebnis (ohne Briefwahl und Stimmen der nicht österreichischen EU-Bürger, die am Montag ausgezählt werden)APA

Beteiligung unter 40 Prozent

SPÖ-Bezirkschef Karlheinz Hora, der seinen Sessel räumen muss, sah den Grund dieser Niederlage in dem Duell um Platz zwei. Also dem Kampf um den Posten des Vize-Bezirkschef, den die Grünen vor der Wahl ausgerufen und als Duell „Gut gegen Böse“ inszeniert hatten – nachdem zwischen Grün und Blau bei der aufgehobenen Wahl vom 11. Oktober 2015 nur 21 Stimmen lagen: „Ich habe immer gewarnt, dass es nur um die Nummer eins geht – nicht um Platz zwei“, so Hora. Die Grünen hätten besser mobilisiert, der SPÖ sei es nicht gelungen, ihren Wählern klar zu machen, dass es um den Bezirksvorsteher gehe. Diese seien zu Hause geblieben. Dazu ortet Hora den Grund für die Niederlage auch in der Absage der Bundespräsidenten-Stichwahl wegen der Probleme mit defekten Wahlkarten: „Viele haben geglaubt, dass auch die Wahl in der Leopoldstadt abgesagt worden ist.“

Ob dem so war, bleibt offen. Jedenfalls sank die Wahlbeteiligung gegenüber 2015 massiv. Während bei der vorigen Wahl 64,6 Prozent im zweiten Bezirk in die Wahllokale gingen, waren es am Sonntag um 28,1 Prozentpunkte weniger – was einer Wahlbeteiligung von nur mehr 36,5 Prozent entspricht.

Bei den Grünen dominierte naturgemäß Freude über den unerwarteten Erfolg. Die künftige Bezirkschefin Lichtenegger erklärte in einer ersten Reaktion: „Ich freue mich wahnsinnig. Ich glaube, wir haben sehr viele Menschen mit unserem Weg des Miteinanders erreicht.“ Gleichzeitig kündigte sie an, sie wolle im Bezirk künftig einen Weg der Gemeinsamkeit gehen. Und mit allen Parteien reden: Denn nur so könne man auch Projekte umsetzen. Als Grund für ihren Erfolg sah die Familientherapeutin und bisherige Vize-Bezirkschefin, ihre Inhalte, beispielsweise hätten die Grünen auf die Notwendigkeit qualitätsvoller Kinderbetreuungseinrichtungen oder den Schutz von Grünraum hingewiesen: Die Leopoldstadt sei sehr lebenswert, aber es gebe trotzdem viel zu tun. Grün-Bundessprecherin Eva Glawischnig, die sich aktiv in den Wahlkampf im zweiten Bezirk eingeschaltet hatte, gratulierte Lichtenegger „zu diesem sensationellen Erfolg“.

Ernüchterung bei ÖVP, Neos

Ernüchterung dagegen herrschte bei der ÖVP. Mit 6,3 Prozent laut Hochrechnung fuhr die kleine Stadtpartei – nach dem Debakel am 11. Oktober 2014, als sie erstmals in ihrer Geschichte auf Gemeinderatsebene einstellig wurde – wieder ein Minus ein. Womit abermals sichtbar wurde: Wiens VP-Chef Gernot Blümel, der die Partei nach dem Wahldesaster 2015 übernommen hatte (um sie völlig neu aufzustellen), hat noch einen weiten Weg vor sich.
Ob er sich dabei vor den Neos fürchten muss, bleibt offen. Die Partei unter der Führung von Klubchefin Beate Meinl-Reisinger fuhr an diesem Sonntag ebenfalls ein Minus ein. Spitzenkandidat Christian Moritz versuchte sich in Zweckoptimismus: Man habe das Ergebnis halten können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19. September 2016)

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