SPÖ und ÖVP sind sich derzeit vor allem eines: uneinig. Der Vizekanzler sieht den Herbst als letzte Chance, "die Ernte einzufahren", sonst stünden die Chancen für eine weitere rot-schwarze Zusammenarbeit nicht gut.
Der Haussegen in der rot-schwarzen Bundesregierung hängt derzeit schief – und wird zunehmend schiefer. So kündigte Vizekanzler Reinhold Mitterlehner am Montag an, der Koalition noch bis Ende des Jahres Zeit geben zu wollen, um einen konstruktiven Weg zu finden. „Entweder bringen wir das Ding systematisch ins Laufen oder eben nicht. Dann reden wir über die Konsequenzen. Bis Jahresende muss was passieren“, betonte er. Von Neuwahlen wollte der ÖVP-Bundesparteiobmann jedoch nicht sprechen: „Es wäre demokratiepolitisch gefährlich und total sinnlos, wenn wir uns in der Regierung jetzt auch noch in die Luft sprengen“, meinte er mit Verweis auf die zuletzt bekannt gewordenen Pannen rund um und die Verschiebung der Bundespräsidenten-Stichwahl. „Dann ist überhaupt keine Sicherheit und Struktur mehr da. Dann haben wir nur noch polarisierende Auseinandersetzung.“
Der Zwist zwischen Rot und Schwarz hatte mit einem Beitrag von Bundeskanzler Christian Kern für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ begonnen. Darin hatte der SPÖ-Bundesparteivorsitzende einen Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik der Europäischen Union gefordert. Konkret hatte er geschrieben, dass die EU von den Bürgern „primär als Promotor einer unfairen Modernisierung gesehen“ werde und daher die öffentlichen Investitionen in der Staatengemeinschaft massiv erhöht werden müssten. Seitens der Volkspartei hatte es daraufhin Kritik gehagelt. Finanzminister Hans Jörg Schelling nannte Kern einen „linken Ideologieträger“, Tirols Landeshauptmann Günther Platter meinte, dass er „in der Finanzpolitik mit dem Bundeskanzler nicht mitkann“, immerhin habe dieser „Schulden, Schulden, Schulden“ gerufen. Kern konterte mit dem Hinweis, dass derart schwarze Aussagen wohl „Ausdruck einer bestimmten rechten Ideologie“ seien.
Damit aber nicht genug. Auch die Bestellung des ORF-Direktoriums ließ die Wogen hoch gehen. Der Grund: Die ÖVP ging nach stundenlangen Verhandlungen fast leer aus und erhielt kaum eine der geforderten Positionen. Ein ÖVP-Stiftungsrat hatte in einer ersten emotionalen Reaktion sogar offen von „Krieg“ gesprochen.
Mitterlehner: "Wir haben genau diesen Herbst Zeit"
Am Montag nannte Mitterlehner die Geschehnisse – insbesondere den via Aussendungen und Interviews abgehaltenen Schlagabtausch – nun den „emotionalen Höhepunkt der medialen Einzelpositionierung“. Und er betonte: „Das ist nicht der Stil, wie wir die Probleme dieses Landes lösen können.“ Vielmehr müsste zur Gemeinsamkeit zurückgekehrt werden. „Regierungstätigkeit ist Teamtätigkeit. Wir haben genau diesen Herbst Zeit, um die Ernte, die wir uns vorgenommen haben, einzufahren.“ Komme es dazu nicht, würde Mitterlehner daraus zwar „nicht automatisch das Ende der Koalition ableiten“. Die Chancen für eine weitere Zusammenarbeit stünden dann aber nicht gut.
Für Mitterlehner geht es in den nächsten Wochen um eine „systematische Reform der Systeme" sowie um Entlastungen für Unternehmen und Steuerzahler. Die von Kern zuletzt ins Spiel gebrachte Wertschöpfungsabgabe oder Maschinensteuer kämen für die ÖVP nicht infrage. Vielmehr brauche es ein neues flexibleres Arbeitszeitrecht, schließlich wolle man der Digitalisierung der Arbeitswelt nicht mit einem „Belastungsansatz", sondern einem „Motivationsansatz" begegnen. Bei der Mindestsicherung bleibt die Volkspartei bei ihrer Forderung nach einer Decklung für Mehrpersonenhaushalte. Für Wohnen könnte es im Gegenzug Sachleistungen geben, für Personen, die noch nicht länger als sechs Jahre in Österreich leben, eine Mindestsicherung light. Und: „Wir denken über eine Integrationsvereinbarung nach Vorarlberger Muster nach", zählte Mitterlehner die schwarzen Vorhaben auf und kündigte zugleich an, Mitte Oktober eine Rede zur Lage der Nation mit Schwerpunkt Wirtschaftspolitik halten zu wollen. Ähnliches übrigens, nämlich eine Rede zum Steuerkonzept der SPÖ, hat auch Kanzler Kern angekündigt.
Mitterlehner warnt vor Ceta als "schwerer Belastung"
An letzterem übte Mitterlehner dann auch gleich wieder Kritik, konkret an Kerns Vorgehen hinsichtlich der umstrittenen Handelsabkommen Ceta und TTIP – die SPÖ hat ihre Mitglieder dazu befragt. Der Vizekanzler hält das für falsch: „Da steht die gesamte handelspolitische Reputation Österreichs am Spiel. Dass ein Land wie Österreich mit 60 Prozent Exportanteil plötzlich von Handelsabkommen Abstand nimmt, wird uns international in Diskussion bringen“, kritisierte er. Aus Mitterlehners Sicht sollte die gemeinsame Erklärung zum Abkommen, die derzeit zwischen Kanada und der EU verhandelt wird, etwaige Vorbehalte präzisieren und ausräumen.
Zwar wollte Mitterlehner am Montag das Handelsabkommen mit Kanada „nicht formal zur Koalitionsbedingung hochschreiben, aber wenn wir Ceta nicht lösen, haben wir eine schwere Belastung“.
(Red./APA)