Wien - der Kompromisskandidat?

(c) Clemens Fabry
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Viele Banken wollen London verlassen. Kann Wien im Kampf um sie profitieren?

Es ist eine logische Folge des Brexit: Viele Firmen überlegen, ihre Aktivitäten aus dem Bald-nicht-mehr-EU-Mitglied Großbritannien zu verlegen. Den Anfang macht nun die zweitgrößte russische Bank, VTB, die am Dienstag erklärte, ihr Europa-Hauptquartier aus London abziehen zu wollen (siehe auch Seite 6). Grund dafür sei, dass die EZB es nicht akzeptieren werde, wenn die Zentrale künftig außerhalb der EU sei. Mögliche Kandidaten für den neuen Standort wären Paris, Frankfurt und – Wien.

Die ersten beiden Städte wurden (neben Dublin und Amsterdam) zuletzt öfters als mögliche Profiteure des „Brexodus“ aus London genannt. Beide bemühen sich auch aktiv darum. So stellte Paris steuerliches Entgegenkommen in Aussicht, in Frankfurt wiederum wird überlegt, den strengen Kündigungsschutz für Spitzenverdiener in den Banken zu reduzieren und an die britischen Gepflogenheiten anzupassen. Wien scheint nun jedoch erstmals als möglicher Kandidat auf.

Für die globale Finanznachrichtenagentur Bloomberg klingt diese Idee jedoch nicht so abwegig und ist auch nicht nur auf die VTB allein beschränkt. So schreibt der in London beheimatete Bloomberg-Kolumnist Chris Hughes: „Es gibt eine Reihe von Gründen, warum Wien auch für andere Firmen attraktiv sein sollte.“ So liege Wien geografisch im Herzen von Europa und ermögliche somit kurze Wege. Außerdem sei es eine „angenehme Stadt“ mit hoher Lebensqualität. Sie verfüge zwar nicht über „die kosmopolitische Stimmung Londons“. Aber das sei bei allen anderen potenziellen Finanzzentren nicht anders. Der wichtigste Grund sei aber vielleicht, dass Wien weder in Deutschland noch Frankreich liege. „Denn es wäre schwer vorstellbar, dass beide Länder ruhig danebensitzen, wenn der andere den Preis erhält“, so Hughes. Diese Suche nach einem EU-Kompromiss habe in der Vergangenheit auch andere Städte – Stichwort Brüssel – beflügelt. Warum also nicht Wien?

E-Mails an:jakob.zirm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.10.2016)

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