Deutschland: Die guten und der böse Syrer

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Wie die Hinweise ausländischer Geheimdienste und das Engagement der syrischen Flüchtlingscommunity dazu geführt haben, einen Anschlag auf einen Flughafen zu verhindern.

Berlin/Leipzig. Gute Syrer fangen einen bösen Syrer: So in etwa geht die Geschichte, die am Tag danach in Deutschland erzählt wurde. Die Leipziger Polizei hatte am Montag den 22-jährigen Jaber A. festgenommen, einen syrischen Flüchtling, der im Auftrag der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) einen Anschlag auf einen Berliner Flughafen plante. Aber überwältigt hatten ihn nicht die Beamten, sondern drei Landsleute, denen A. mehr oder weniger zufällig über den Weg gelaufen war, wie sich nun herausstellte.

In einem Online-Netzwerk für syrische Flüchtlinge hat A. am Samstag nach einem Schlafplatz gesucht, nachdem er der Polizei in Chemnitz im letzten Moment entwischt war. Die Männer, die ihn später den Beamten übergeben sollten, lasen seine Zeilen und holten ihn vom Leipziger Hauptbahnhof ab. Nicht wissend, wem sie da helfen wollten. Dass es jener Mann war, nach dem allein in Sachsen gerade 700 Polizisten suchten.

„Wir waren erst bei einem Freund in dessen Wohnung, haben dort Reis mit Lammfleisch gegessen“, zitierte „Bild“ einen der Männer. „Dann sind wir zu einem anderen Kumpel gefahren, weil es dort mehr Platz gab. Dort hat der Terrorist übernachtet.“ Am Sonntag habe er A. dann auf dessen Wunsch die Haare geschnitten.

Erst im Laufe des Tages sahen die Gastgeber den Fahndungsaufruf auf Facebook, der von der syrischen Flüchtlingscommunity hundertfach geteilt wurde. A. hatte den Männern erzählt, er sei eben erst aus Syrien angekommen und habe Aussicht auf einen Job in Leipzig. Aber sie glaubten ihm nicht mehr. Als er sich schlafen legte, posteten die Männer ein Foto von ihm und diskutierten im Netz mit anderen Syrern, ob es sich bei ihrem Gast um den gesuchten Jaber A. handeln könne.

Als die letzten Zweifel ausgeräumt waren, fesselten sie ihn mit Verlängerungskabeln und riefen bei der Polizei an. A. versuchte noch, sich freizukaufen, er bot 1000 Euro und 200 Dollar, die er – gemeinsam mit einem Messer – im Rucksack hatte. Doch die Männer lehnten ab. Terrorismus könnten sie nicht akzeptieren, erzählte einer dem Fernsehsender RTL. Schon gar nicht in Deutschland, „dem Land, das uns die Türen geöffnet hat“.

„Es war fünf vor zwölf“

Der Anruf bei der Polizei scheiterte allerdings an den mangelnden Deutschkenntnissen. Also wurde einer der Männer persönlich am Revier Leipzig-Südwest vorstellig, während die anderen auf A. aufpassten. Die Beamten sollen einigermaßen verblüfft gewesen sein, als ihnen ein Handyfoto vom meistgesuchten Mann Deutschlands gezeigt wurde: gefesselt auf einer Couch und von einem Unbekannten in den Schwitzkasten genommen. Sie mögen doch bitte in die Wohnung mitkommen, bat der Syrer. Die Polizisten zögerten nicht.

„Aus meiner Sicht war es fünf vor zwölf“, sagte der Präsident des deutschen Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, am Dienstag im ZDF-„Morgenmagazin“. Der Vizechef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Sebastian Fiedler, bedankte sich einstweilen bei den Helfern: „Die Syrer, die aus dem Krieg geflohen sind, haben auch unter ihresgleichen intensiv nach dem Täter gesucht.“ Und das habe letztlich zur Festnahme geführt.

Allerdings hat der Geheimdienst gute Vorarbeit geleistet. Mitte September hatte er von französischen und US-amerikanischen Kollegen den Hinweis bekommen, dass der IS einen Anschlag auf deutsche Infrastruktureinrichtungen plane. Man wusste nur nicht, wer ihn durchführen sollte. Und wo. Bis vergangenen Donnerstag. Am Freitag habe der nunmehr rund um die Uhr observierte Verdächtige dann Heißkleber in einem Ein-Euro-Shop gekauft, berichtete Maaßen. Da wusste man: Dies könnte die letzte Chemikalie sein, die er braucht, um eine Bombe herzustellen.

Am nächsten Morgen wollte die Kriminalpolizei in einem Wohnbau in Chemnitz, wo A. wohnte, zuschlagen. Doch die Festnahme scheiterte, weil man nicht wusste, in welcher Wohnung er sich aufhielt. Ein Zugriff im Haus hätte „ein unkalkulierbares Risiko“ bedeutet, zumal die Menge an Sprengstoff gewaltig gewesen sei, verteidigte sich LKA-Chef Jörg Michaelis gegen Kritik. Also habe man sich für einen Zugriff außerhalb des Gebäudes entschieden. Aber die Beamten trugen Schutzkleidung, 30 Kilogramm schwer. Und deshalb konnte der 22-Jährige fliehen.

Mysteriöse Türkei-Reise

Am Dienstag wurde dann bekannt, dass sich A., der seit Februar 2015 in Deutschland ist, im Sommer einige Monate in der Türkei aufgehalten hat. Erst Ende August sei er zurückgekehrt, berichtete „Die Welt“ und berief sich dabei auf das Bundeskriminalamt. Danach habe er über „auffällig hohe Bargeldbeträge in US-Dollar“ verfügt und in Sachsen nach einer Wohnung für sich allein gesucht. Die Ermittlungen konzentrieren sich nun auf diese mysteriöse Türkei-Reise. Womöglich hatte A. dort Kontakt zum IS.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.10.2016)

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