Brexit: May umgeht das Parlament

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Das britische Höchstgericht behandelt nun eine Klage, mit der Abgeordnete die Mitsprache des Unterhauses beim EU-Austritt durchsetzen wollen.

London. Was der berühmte Satz der britischen Premierministerin, Theresa May, „Brexit means Brexit“ eigentlich bedeutet, wird ab morgen, Donnerstag, auch das Höchstgericht des Landes beschäftigen. Vor dem High Court beginnt die Anhörung von vier Klagen gegen die Ankündigung von Regierungschefin Theresa May, dem Parlament bei der Auslösung des EU-Austrittsverfahrens nach Artikel 50 keine Mitsprache zu gewähren. May hatte auf dem Parteitag ihrer Konservativen diesen Forderungen eine klare Absage erteilt und vor einer „Unterminierung der demokratischen Entscheidung des britischen Volks“ durch das mehrheitlich für eine EU-Mitgliedschaft eingestellte Unterhaus gewarnt.

Obwohl mit einer Bestätigung der Regierungsposition gerechnet wird, nimmt man die gerichtliche Herausforderung ernst. May lässt sich von Generalanwalt Jeremy Wright persönlich vertreten, der in einer 28-Seiten-Schrift die Nichteinschaltung des Parlaments mit dem „königlichen Prärogativ“ gerechtfertigt hat. Einem letzten Versuch von Abgeordneten aller Parteien, einen Meinungsumschwung herbeizuführen, erteilte am Montagabend Brexit-Minister David Davis eine klare Absage.

Vor dem Unterhaus zeigte sich der Hardliner erneut überzeugt, dass der EU-Austritt für Großbritannien ein „großer Erfolg“ sein werde. „Ich sehe nur Vorteile“, betonte er. Einmal mehr stellte er ein völliges Ausscheiden aus dem gemeinsamen Markt in Aussicht.

Die erste Großbank zieht ab

Unter Investoren macht sich angesichts dieser radikalen Position zunehmend Verunsicherung breit. Die russische Großbank VTB kündigte gestern an, ihre Europa-Zentrale aus London abzuziehen. Ausweichkandidaten sind Paris, Frankfurt oder Wien (siehe Seite 19). „Wir hatten große Pläne für London, aber nach dem Brexit werden wir sie woanders weiterverfolgen“, erklärte VTB-Finanzchef Herbert Moss der „Financial Times“. Der russischen Bank könnten bald weitere folgen. Nach einer Studie der Unternehmensberatung Oliver Wyman stehen allein in der Londoner City 71.000 (von 350.000) Jobs und zehn Milliarden Pfund an jährlicher Steuerleistung auf der Kippe.

Die sich mehrenden Anzeichen eines harten Brexit (ohne EU-Binnenmarkt) rufen zunehmend Besorgnis hervor. Nach Protesten der Wirtschaft nahm die Regierung ihre „Überlegung“ zurück, wonach britische Unternehmen in Zukunft die Zahl ihrer ausländischen Beschäftigten offenlegen müssen. Das Motiv, die EU-Einwanderung dramatisch einzuschränken, bleibt aber bestimmend für die Regierungspolitik. Dabei will man sich auch nichts dreinreden lassen. In der Vorwoche wurde die renommierte London School of Economics per E-Mail verständigt, dass ausländische Experten künftig von Studien im Regierungsauftrag über den Brexit fernzuhalten seien. Premierministerin May machte auf dem Parteitag klar, wohin die Reise gehen wird: „Wer glaubt, ein Bürger der Welt zu sein, gehört in Wirklichkeit nirgendwo dazu.“

Für diese harte Linie werden wirtschaftliche Nachteile in Kauf genommen werden. Bezeichnend dafür sind auch die Kräfteverhältnisse in der Regierung. Während Brexit-Minister Davis erfolgreich den Hardliner gibt, ist Außenminister Boris Johnson abgemeldet und kommt Schatzkanzler Philip Hammond mit seiner Sympathie für einen sachten EU-Austritt zunehmend unter Druck.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.10.2016)

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