Botulinumtoxin, kurz Botox, soll auch gegen Migräne und chronische Schmerzen wirken, sagen Experten.
„Es stimmt nicht, dass Botulinumtoxin ein gefährliches Nervengift ist“, sagt Karin Serrat, Fachärztin für physikalische Medizin und Rehabilitation, die in einem Gesundheitsresort in Tirol tätig ist. Die Medizinerin ist auch Spezialistin für Botox-Therapie in der Rehabilitation, bei Migräne und chronischen Schmerzen. Jawohl Schmerzen, denn das natürliche Bakterieneiweiß Botulinumtoxin kann nicht nur Falten ausmerzen, sondern auch Schmerzen. Der Mechanismus dahinter beruht auf folgender Tatsache: An der Schnittstelle von Nerv und Muskel werden normalerweise bestimmte Neurotransmitter ausgeschüttet, und genau das verhindert Botox. „Damit kann, ganz simpel erklärt, der Nerv auch das Signal nicht weiterleiten“, sagt Serrat. Erfolge hat man mit Botox-Injektionen daher vor allem bei Schmerzerkrankungen, die das vegetative Nervensystem betreffen, sowie bei gewissen neuropathischen Schmerzen. „Bei Migräne etwa wirkt Botulinumtoxin oft sehr gut. Ebenso bei durch Knirschen bedingten Schmerzen der Kaumuskulatur und bei Phantomschmerzen.“ Die Linderung tritt typischerweise nach vier bis sechs Tagen ein und hält im Durchschnitt vier bis sechs Monate an.
Hilfe bei Spastik
Das gilt auch für Schmerzen, die in einer starken Muskelanspannung begründet liegen, etwa der Tennisellbogen. Große Erfolge erzielt Botox auch bei Spastik nach einem Schlaganfall (sehr schmerzhafte Verkrampfung, Verhärtung und Versteifung von Muskeln, was dazu führt, dass Bewegungen unkontrollierbar werden). „In der Medizin wird Botulinumtoxin übrigens um das 4,5-Milliardenfache verdünnt. Kontraindiziert sind entsprechende Präparate unter anderem bei Schwangeren sowie bei Entzündungen im Behandlungsareal“, vermerkt Johann Umschaden, Facharzt für plastische, ästhetische und rekonstruktive Chirurgie und ärztlicher Leiter der Schwarzl-Klinik in der Steiermark.
Hier wurde unlängst ein chirurgisches Nervenschmerzzentrum eröffnet, behandelt werden chronische Schmerzen, die auf Probleme im peripheren Nervensystem zurückzuführen sind. „Dieser Nervenschmerz hat viele Gesichter“, sagt Umschaden, „vom chronischen Kopfschmerz über Beschwerden in den Gelenken bis zum Fersen- und Leistenschmerz.“ Der Nerv, so Umschaden, der aufgrund von Einengungen, ständigem Druck oder Beschädigung Schmerzen verursache, könne mittels moderner Nervenultraschalluntersuchung genau lokalisiert und dargestellt werden. „Mit einem mikrochirurgischen Eingriff kann dann in vielen Fällen eine dauerhafte Schmerzlinderung oder sogar Schmerzbeseitigung erzielt werden.“ Zuvor wird aber stets getestet, ob eine Operation überhaupt etwas bringt. „Nur wenn das der Fall ist, operieren wir. Dann aber haben wir eine Erfolgsquote von rund 80 Prozent.“
Dauernadel im Ohr gegen Schmerz
Eine andere Art der Schmerzbekämpfung mittels Neurostimulation bietet seit Kurzem der Wiener Schmerzspezialist Reinald Brezovsky an. „Dabei wird eine Dauernadel ins Ohr gesetzt, die der Patient normalerweise 14 Tage trägt. Die Nadel ist über einen Draht mit einem kleinen Stimulationsgerät verbunden, das elektrische Impulse in Richtung Hirn aussendet. Der Arzt kann zwischen 15 Stufen wählen und die Stromstärke individuell einstellen“, erklärt Brezovsky.
Durch die Stimulation käme es zur Ausschüttung von Endorphinen und zu einer besseren Durchblutung, Gefäße würden erweitert, Muskeln gelockert und entspannt. „All das führt zu einer Schmerzreduktion.“ Erfolge gäbe es vor allem bei starken Kreuz,- Kopf- und Nackenschmerzen. In hartnäckigen Fällen oder bei bereits seit Jahren bestehendem chronischen Schmerz setzt der Schmerzarzt auch gern eine Kombinationstherapie ein. „Da hat sich die Kombination mit Lichttherapie durch den Repulstiefenstrahler, der Entzündungen und Schmerzen mit intensivem, gepulstem, kaltem Rotlicht zu Leibe rückt, sehr bewährt.“ Auch Heilgas in Form von Trockenbädern mit CO2 sei eine gute Kombinationsmöglichkeit für langjährige Schmerzpatienten.
Buchtipp
Rund 1, 7 Millionen Österreicher leiden unter chronischen Schmerzen. Die Medizin sollte dabei keinesfalls die sozialen und psychischen Komponenten negieren.
Soeben erschienen ist: „Das Schmerz-Buch. Neue Wege wagen. So können Schmerzen überwunden werden“ von Dr. med. Matthias Karst, Schlütersche, 20,60 Euro, 152 Seiten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.10.2016)