Wischtelefon-Pantomime

A woman uses a smartphone in New York City
A woman uses a smartphone in New York CityREUTERS
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Grandioser Auftritt einer Wischtelefon-Pantomime in der U-Bahn: Ein Sandler lässt sich nicht wegwischen.

Der auf souverän-routiniert wirkende Weise schwer betrunkene ältere Herr – darf man Sandler sagen? Apartmentally Challenged wäre die nur zynisch korrekte Form im Englischen – ist fasziniert vom Publikum in der U-Bahn an diesem beliebigen Werktagsabend. Alle, ausnahmslos alle stieren in ihr glimmendes Kastl, was natürlich das Trivialste und Alltäglichste auf der Welt ist – nur Kinder oder auf ähnliche Weise von den Konventionen Ausgegrenzte provoziert der Anblick. Er bietet eine unwiderstehliche Vorlage für Persiflage. Und so zieht der Alte eine Smartphone-Pantomime ab, äfft uns stumm nach – lautlos, dennoch drastisch.

Wirklich witzig, trotzdem ist er der Einzige, der Spaß hat – die Opfer seines Spotts ducken sich nur noch tiefer über ihre Wischtelefone. Der Alte lässt sich aber nicht wegwischen.

Vor vielen Jahren, in einer Tokioter U-Bahn, war ich auf ähnliche Weise fasziniert. Damals konnte man bei uns gerade telefonieren oder SMS verschicken, in Japan war man offenbar schon weiter. Jeder war in den bunten Screen seines Geräts versunken. Die Welle hat uns ja ziemlich nachhaltig erreicht. Die Kritik daran ist einerseits wohlfeil. Man mokiert sich über das Schauspiel der Smartphone-Zombies, führt stumme Klage gegen den Niedergang von ziemlich allem – bis es langweilig wird und man wieder ins eigene Kastl schaut, was es Neues gibt.

Bei meinem letzten Besuch in Tokio fiel mir auf, dass die Geräte vermehrt in den Taschen bleiben. Als wären viele dankbar, einige Minuten nichts aufzunehmen.

timo.voelker@diepresse.com


Nächste Woche:
Karl Gaulhofer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.10.2016)

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