Nach einem Spruch des Verfassungsgerichtshof aus dem Jahr 2013 stehen Teile der Gewerbeordnung auf wackeligen Beinen.
Wien. Wer sich auch nur ein bisschen mit der österreichischen Gewerbeordnung beschäftigt, stolpert schnell über allerhand Skurrilitäten: die Putzfrau zum Beispiel, die Privathäuser reinigen darf, aber ohne Zusatzbefähigung keine Bürohäuser. Beispiele dieser Art gibt es zahlreich. 1859 gegründet, stand das Regelwerk einst im Zeichen wirtschaftlicher Freiheit: Der Habsburgermonarchie drohte damals der Bankrott, das freie Unternehmertum sollte für den Aufschwung sorgen. Mit der Zeit wurden zahlreiche Zugangsbeschränkungen eingeführt.
Die Gewerbeordnung hat in ihrer aktuellen Form mehr Kritiker als Befürworter. Aber ihre Verfechter sind stark: Sie sitzen vor allem in der mächtigen Wirtschaftskammer. Und sind wohl dafür verantwortlich, dass aus der von der Regierung angekündigten Reform wahrscheinlich auch dieses Mal nichts werden dürfte (siehe Artikel Seite 1).
Dabei stehen Teile der Gewerbeordnung auf höchst wackeligen Beinen. Konkret geht es dabei um den Berufsschutz. 80 Gewerbe sind in Österreich reglementiert: Wer sie selbstständig ausüben möchte, muss eine Meisterprüfung oder einen vergleichbaren Befähigungsnachweis vorlegen. Darunter fallen sensible Gewerbe wie Elektrotechnik und Gas- und Sanitärtechnik. Aber auch weniger heikle wie Fremdenführer, Tapezierer und Dekorateure. Bis zum Jahr 2013 war auch der Berufsfotograf ein reglementiertes Gewerbe. Dann hob der Verfassungsgerichtshof den Berufsschutz auf, weil er sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sei. Vom Fotografengewerbe gingen keine Gefahren mehr aus. Und Konkurrenzschutz allein sei kein öffentliches Interesse, befanden die Richter.
Betonung der Erwerbsfreiheit
Der Verfassungsgerichtshof könnte damit den Weg für eine umfassende Reform geebnet haben. Sofern sich jemand findet, der ihn beschreitet – also als Betroffener gegen den Berufsschutz klagt. Heinz Mayer, Verfassungsjurist und ehemaliger Dekan des Wiener Juridicums, hält es für wahrscheinlich, dass das Höchstgericht in anderen Fällen ähnlich urteilen würde. „Regelungen, die den Berufszugang und die Berufsausübung beschränken, sind verfassungsrechtlich nur zulässig, wenn sie im öffentlichen Interesse liegen“, sagt Mayer zur „Presse“. Das Gericht setze den Weg fort, den es Mitte der 1980er-Jahre eingeschlagen habe: eine stärkere Betonung der Erwerbsfreiheit. Bei gewissen Berufen, dem Installateur zum Beispiel, seien Restriktionen sicher zu rechtfertigen. In anderen Bereichen wie eben dem Fotografengewerbe könne der Markt entscheiden, ob die Qualität stimmt. „Die Rechtfertigung für die Beschränkung darf jedenfalls nicht allein im Konkurrenzschutz bestehen“, so Mayer.
Das gibt den Kritikern der Gewerbeordnung Hoffnung. Etwa Volker Plass, Bundessprecher der Grünen Wirtschaft, der sich schon seit vielen Jahren für eine „Entrümpelung“ der Gewerbeordnung stark macht. Es sei „lächerlich“, dass die Reisebüros noch immer reglementiert seien, obwohl bereits so viele Reisen im Internet gebucht würden. Oder die Bäckereien, wo doch der Großteil des Brots und der Semmeln nicht in Meisterbetrieben verkauft werde, sondern in Supermärkten. „Alle Gewerbe, bei denen sich Kunden selbst über die Qualität informieren können, sollten frei gegeben werden“, so Plass. Das seien zwischen einem Drittel und der Hälfte derer, die derzeit reglementiert sind.
„Ein österreichisches Paradoxon“
Auch das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) fordert eine weitere Liberalisierung der Gewerbeordnung, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Österreich zähle zu den Ländern, „die sich ein besonders umfassendes Regulierungsregime für die Ausübung von Handwerk und Gewerbe leisten“, schreiben Michael Böheim (Wifo) und Eva Pichler (WU) in einer aktuellen Studie. Deutschland etwa finde mit zwei Drittel der Regulierungen das Auslangen.
Einen radikalen Vorschlag machte im Sommer die Agenda Austria: Laut der Denkfabrik sollten nur noch 15 Gewerbe reglementiert werden statt derzeit 80. Deutschland hat die Reform im Jahr 2004 gewagt: Damals wurden 53 von 94 Handwerken freigegeben. Für sechs Handwerke braucht es heute noch eine Meisterprüfung.
Die Gewerbeordnung stehe illustrativ für ein „österreichisches Paradoxon“, sagt Agenda-Austria-Direktor Franz Schellhorn: Einerseits beklage die Wirtschaftskammer bei jeder Gelegenheit die vielen Hürden, die Österreichs Unternehmern in den Weg gestellt werden. „Andererseits verteidigt sie mit Zähnen und Klauen die strengste Gewerbeordnung der westlichen Hemisphäre. Und das alles nur, um bestehende Betriebe vor neuer Konkurrenz zu schützen“, so Schellhorn.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2016)