Wie Hillary Clinton die Welt sieht

U.S. Democratic presidential candidate Hillary Clinton arrives to a press briefing before boarding her campaign plane at the Westchester County airport in White Plains
U.S. Democratic presidential candidate Hillary Clinton arrives to a press briefing before boarding her campaign plane at the Westchester County airport in White PlainsREUTERS
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Sollte die Demokratin US-Präsidentin werden, wird sich die Außenpolitik ändern. Clintons Diplomatie wird militärisch unterfüttert sein.

Es gibt eine Anekdote, die Hillary Clinton im Lauf der Jahre immer gern zum Besten gegeben hat. Im Jahr 1975 habe sie ein Rekrutierungsbüro der US-Marines aufgesucht, um sich nach der Möglichkeit zu erkundigen, Reservistin zu werden. Als in Yale promovierte Juristin gebe es wohl sicher Verwendung für sie, habe sie dem blutjungen Rekrutierungsoffizier vorgetragen. Er habe sie und ihre aschenbecherdicken Brillengläser angeblickt und gesagt: „Sie sind zu alt, Sie sehen nichts, und Sie sind eine Frau.“

Knapp zwei Jahrzehnte später, als First Lady, nahm sie diese Zurückweisung von einst mit Humor. Ob Clinton damals wirklich Dienst in Uniform machen oder eher aktionistisch die Grenzen der beruflichen Möglichkeiten von Frauen testen wollte, ist offen. Unbestreitbar ist hingegen, dass diese Episode ein Licht auf das unverkrampfte Verhältnis der möglicherweise ersten Frau im Präsidentenamt der USA zu den Streitkräften wirft. Clinton wuchs als Tochter eines erzkonservativen Republikaners auf, der im Zweiten Weltkrieg als Marineunteroffizier Seeleute für den Kampf im Pazifik ausbildete und während des Kalten Krieges stets von der Sorge getrieben war, dass die USA im Wettrüsten zurückfallen. Das blutige Fiasko des Vietnamkrieges war ihr Damaszener Erweckungserlebnis. Als Studentin begann sie sich in Friedensgruppen zu engagieren und trat zu den Demokraten über. Doch wie die Episode aus dem Rekrutierungsbüro illustriert, entglitt Clintons kritisches Verhältnis zum Militär nie in eine Fundamentalopposition gegenüber dem Einsatz von Streitkräften, wenn es die Lage gebietet. „Sie würde als Präsidentin das Militär als eine von mehreren realistischen Optionen ansehen, aber nur dann, wenn es keine andere Wahl gibt“, sagte Jack Keane, Vier-Sterne-General i. R. und früher Vizegeneralstabschef der Army, in Mark Landlers Buch „Alter Egos“.

Clintons Präsidentschaft würde einen qualitativen Wandel in der amerikanischen Außenpolitik herbeiführen gegenüber der zögerlichen, jegliche militärische Konfrontation selbst um den Preis einer Stärkung illiberaler Regimes meidenden Politik Barack Obamas. Im Gegensatz zu Obama hegte sie nie Illusionen über die Handschlagqualität Wladimir Putins. Vor Ablauf ihrer Zeit als Außenministerin Anfang 2013 formulierte sie mindestens zwei vertrauliche Thesenpapiere, in denen sie Obama zu einer härteren Linie gegenüber Moskau riet. Der Reset, also das Zurückstellen der amerikanisch-russischen Beziehungen auf ein Niveau gegenseitigen produktiven Interessenabgleichs, sei gescheitert, warnte Clinton laut Reuters unter Berufung auf frühere Stabsmitglieder. Dieser Versuch, nach der feindseligen Stimmung unter Präsident George W. Bush reinen Tisch zu machen, stand von Anfang an unter einem schlechten Stern: Der rote Knopf, den Clinton im März 2009 ihrem russischen Gegenüber, Sergej Lawrow, als Symbol guten Willens überreichte, war irrtümlich mit dem russischen Wort für „Überlastung“ beschriftet.


Der libysche Makel.
Die gegenseitige Abneigung zwischen Clinton und Putin ist tief. „Er hat keine Seele“, unkte sie im Jänner 2008. „Ein Staatsoberhaupt sollte zumindest ein Oberhaupt haben“, schoss er zurück. Völlig zerrissen war das Tischtuch im Dezember 2011, als Clinton die Manipulationen zugunsten Putins bei der Parlamentswahl in Russland scharf angriff. Die Wahl sei weder frei noch fair gewesen. Mehrfach geißelte sie das brutale Vorgehen der russischen Sicherheitskräfte gegen die Opposition.

Nach Ansicht vieler Beobachter war Clintons offene Kritik am Kreml ein Fehler. Sie ermöglichte Putin das Stricken eines propagandistischen Narrativs angeblicher westlicher Verschwörungen gegen Russland. Und sie machte es dem Kreml und dessen Nachrichtenorganisationen wie „Russia Today“ leicht, Clinton als kalte Kriegerin zu karikieren, die es kaum erwarten kann, den Dritten Weltkrieg auszulösen.
Das ist ins Reich der Fantasie zu verweisen. Gewiss: Der Nato-Luftkrieg gegen das Regime des libyschen Diktators, Muammar al-Gaddafi, den Clinton 2011 als Außenministerin befürwortete, stürzte das Land ins Chaos. Doch die Kritiker, die dieses Fiasko nun Clinton allein ankreiden wollen, vergessen, dass zuerst die Arabische Liga eine Intervention gegen Gaddafi gefordert hat. Erst nach intensiven Beratungen mit arabischen Führern und auf Drängen der Briten und Franzosen stellte Clinton sich ins Lager der Befürworter eines Eingreifens.


Leise Rede, großer Prügel.
Clinton sieht das Militär als Mittel, um der Diplomatie Glaubwürdigkeit zu verleihen. Ein anschauliches Beispiel dafür lieferte sie im Juli 2010. Angesichts des zusehends imperialistischen Gehabes Chinas erklärte sie bei einer Tagung der Asean-Minister in Hanoi, die freie Seefahrt im Südchinesischen Meer sei „ein nationales Interesse“ der USA. Gleichzeitig machte sie sich dafür stark, als Reaktion auf die Versenkung der südkoreanischen Korvette Cheonan durch einen nordkoreanischen Torpedo den Flugzeugträger George Washington ins Gelbe Meer zwischen Nordkorea und China zu schicken.

Diese beiden zeitnahen Handlungen machten Chinas besorgten Nachbarn klar, dass die USA weiterhin als ihre Schutzmacht waltet. „Asiatische Regierungen, die darauf erpicht waren, Chinas Macht und Einfluss zu parieren, begannen daraufhin, sich wieder den USA anzunähern“, schreibt James Mann in „The Obamians“. Sprich leise, aber trage einen großen Prügel, dann kommst du weit: Diese alte amerikanische Volksweisheit war schon Theodore Roosevelts außenpolitische Maxime. Ein Jahrhundert später könnte sie das Denken der ersten US-Präsidentin prägen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.11.2016)

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