Macht und Ohnmacht im Oval Office

President Barack Obama talks to the media before signing S. 1890 Defend Trade Secrets Act of 2016
President Barack Obama talks to the media before signing S. 1890 Defend Trade Secrets Act of 2016REUTERS
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Die Befugnisse des US-Präsidenten werden im Westen bisweilen überschätzt. Die Gründerväter zwängten ihn in ein enges Korsett. Was der Chef im Weißen Haus (nicht) darf.

Und dann gingen buchstäblich die Lichter aus. Die Bundesverwaltung stand teilweise still. 800.000 Mitarbeiter der Regierung von Barack Obama wurden in den Zwangsurlaub geschickt. Der „Government Shutdown“ 2013 legte vor aller Welt dar, dass der Kongress über die alleinige Budgethoheit verfügt – und dass er auch der Regierung den Geldhahn zudrehen kann, wenn er das will. Die Episode zeigte zugleich eine der schärfsten Waffen eines Präsidenten: das Scheinwerferlicht. Obama geißelte die Blockade als „Farce“ der Republikaner. Am Ende des 16-tägigen Stillstands waren sie blamiert.

Die Öffentlichkeit neigt dazu, den US-Präsidenten mit Superlativen zu überhäufen, vom „mächtigsten Menschen“ bis zum „Anführer der freien Welt“. Die Titelei überdeckt, dass der Spielraum eines Präsidenten begrenzt ist. Machtlos ist er freilich nicht. Als Commander in Chief befehligt er die stärkste Streitkraft der Welt und 1,3 Millionen Soldaten. Sein Wort entscheidet über Leben oder Tod: Er hat den Finger auf dem Abzug der Atomwaffen, ordnet Drohnenangriffe an und begnadigt Verurteilte. Der US-Präsident hat mehr Macht als alle europäischen Pendants, auch, weil er Regierungschef in Personalunion ist. Doch schon diese Doppelfunktion birgt Risken, immer muss er zwischen den widersprüchlichen Rollen des konsensualen Staatsoberhaupts und des Regierungspolitikers changieren, der gegen Widerstände kämpft.

Vor allem aber haben die Gründerväter den Präsidenten in ein enges Korsett gezwängt. Einige fürchteten, mit dem Amt den „Fötus“ der verhassten „Monarchie“ zu schaffen, wiewohl schon der erste Präsident, George Washington, diese Ängste abbaute, indem er die unroyale Anrede „Herr Präsident“ etablierte und seine Amtszeit freiwillig auf zwei Perioden beschränkte.

Machtlüsterneren Präsidenten setzen die Checks and Balances Grenzen, allen voran der Kongress, das Herz der Legislative. Der Präsident hat zwar ein Veto gegen dessen Gesetzesbeschlüsse, Obama nutzte es zuletzt gegen die Möglichkeit von 9/11-Klagen gegen Saudiarabien. Aber sein zwölftes Veto war zugleich das erste, das Zweidrittelmehrheiten in Senat und Repräsentantenhaus überstimmten. Auch eine Fülle von Hillary Clintons und Donald Trumps Versprechen ist ohne Zustimmung der Abgeordneten auf dem Capitol Hill nicht durchzuboxen. Zudem schränkt der Föderalismus den präsidialen Aktionsradius ein: Über Bildung, Todesstrafe und viele Steuern entscheiden die Bundesstaaten.

Einige Staatschefs wandten sich deshalb dem Ausland zu. „Wo war George?“, spotteten Demokraten einst über Bush senior. Nachfolger Bill Clinton tauschte nach dem Scheitern seiner Gesundheitsreform aber selbst häufig die innenpolitische Arena gegen die Weltbühne. Und doch gibt es auch hier Grenzen. Die Geschichte wäre anders verlaufen, hätte Woodrow Wilson seine Erfindung des Völkerbunds im Senat durchgebracht, der internationale Verträge ratifizieren muss – und damals ablehnte. Amerika wandte sich ab von der Welt. Auch Kriege kann nur der Kongress erklären. Was er übrigens seit 1941 nicht mehr getan hat. Aber er autorisierte Militärschläge. Der Commander in Chief kann auch im Alleingang Truppen entsenden. Erst nach 60 Tagen muss der Kongress sein Plazet geben. Clinton hatte es im Kosovo nicht, die Luftschläge gingen nach 60 Tagen trotzdem weiter. Seine Regierung meinte, die Gelder seien ja bewilligt.


Lame Duck? Auch Obama nutzt Winkelzüge. Der 26-monatige Luftkrieg gegen den IS stützt sich auf eine Resolution des Kongresses vom 14. September 2001, die es, etwas vereinfacht gesagt, erlaubt, Militär gegen alle einzusetzen, die mit dem 9/11-Terror in Verbindung stehen.

Auch innenpolitisch hat Obama ein Mittel gefunden, um aus seiner Rolle als gegen die Kongressmehrheit regierende „Lame Duck“ auszubrechen: Executive Orders. Mit diesen Verordnungen erhöhte er den Mindestlohn für seine Angestellten, verschärfte die Anwendung des Waffenrechts. 235 solcher Dekrete erließ er bisher. Nichts im Vergleich zu Franklin D. Roosevelt zwar (3522) und doch ein Drahtseilakt, der Obama den Vorwurf einbrachte, am Kongress vorbeizuregieren: Seine Einwanderungsreform stoppte ein Gericht. Der Supreme Court war danach gespalten – 4:4.

In diesem Höchstgericht bilden sich wie in keiner zweiten Institution Macht und Ohnmacht des Präsidenten ab. Der Supreme Court hat das letzte Wort bei allen heißen Eisen. Derzeit ist der neunte Sitz vakant. Nur der Präsident kann einen Nachfolger ernennen. Auf Lebenszeit. Aber der Senat muss zustimmen. Und so bleibt der Stuhl leer. Checks and Balances eben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.11.2016)

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