Der große Graben

Republican presidential nominee Donald Trump attends a campaign event in Hershey
Republican presidential nominee Donald Trump attends a campaign event in HersheyREUTERS
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Können sich rhetorische Rabauken und politisch Korrekte überhaupt noch unterhalten? Derzeit wird nach neuen Regeln für die Debattenkultur gesucht. ?

Wie immer der US-Wahlkampf ausgeht, ein Ergebnis steht fest: Die Grenzen des Sagbaren haben sich verschoben. Nun ist so ein Präsidentschaftsduell keine Kinderjause, aber eben auch kein Einzelfall. Die neue Lust am Verbalradikalen steht auch hierzulande der politischen Korrektheit gegenüber – und dort, wo das, was man altmodisch öffentliche Debatte nennt, stattfinden sollte, klafft eine Lücke. Wie man die schließt, ist aktuell Thema mehrerer kluger Bücher. Fünf Gedanken zum neuen Rederegelwerk:

1.)
Zivil statt korrekt. Weil erst Regeln ihr Überschreiten interessant machen, gilt die Political Correctness (PC) als Hauptverdächtige, wenn es um die Verbalradikalisierung geht. Dabei ist PC so neu nicht. Die Gesellschaft hat immer schon normiert, was man sagen darf und was nicht, die Themen waren nur andere und die Sanktionen schlimmer. Wobei, zugegeben, das PC-Stützkorsett einem bisweilen die Luft zum gedanklichen Durchatmen nimmt. Microaggressions – dass man etwa asiatische Schüler nicht fragen darf, ob sie gut in Mathe sind – sind lächerlich. Dass Leute das Gefühl haben, ständig aufpassen zu müssen, was sie sagen, ist eine Folge des Missbrauchs der politischen Korrektheit von rechts und links. Echte Kränkung spielt dabei kaum eine Rolle, vielmehr ist das Opfersein eine bequeme Art, den Gegner wehrlos an den Pranger stellen zu können. Autoren wie Timothy Garten Ash plädieren deshalb dafür, die Korrektheit durch „robuste Zivilität“ zu ersetzen. Das heißt, dass man Hass und Beleidigung bis zu einem gewissen Maß aushalten muss – aber gleichzeitig dagegenhalten soll. Wie, das kann man in Carlo Strengers Essay „Zivilisierte Verachtung“ nachlesen. Strenger propagiert den absoluten Vorrang der Fakten vor Empfindlichkeiten.


2) Populismus als Diskurs-Sackgasse. Bei Populismus hilft nichts, er tötet jede Debatte. Zumindest wenn man ihn so wie der Politikwissenschaftler Jan-Werner Müller versteht – nämlich nicht als volksnahe Politik, sondern als antipluralistisch. Wenn man glaubt, als Einziger zu wissen, was das Volk wirklich will, – worüber soll man diskutieren?


3.) Stimmungen sind real.
Emotionen sind nicht schlecht, auch Wut ist gut, sie macht aus einem Tagesordnungspunkt ein Anliegen. Aber gerade wer Macht hat, muss mit Emotionen verantwortungsvoll umgehen. Denn folgt man dem Soziologen Heinz Bude, erzeugt Stimmung Realität. Da wir heute nicht mehr in Großgruppen gebunden sind (Bürger, Arbeiter etc.), wechselt die Stimmung zwar schnell, trotzdem lässt sie sich nicht leicht wieder einfangen. Was brennt, das brennt eine Weile. Und wer geholfen hat, das Feuer anzufachen, ist kein unschuldiger Zuschauer.


4.) Die Blase platzen lassen. „Für mein Leben gern zu Hause“, lautet ein Ikea-Werbespot. Das gilt auch für unsere Gedanken. Menschen verlassen ungern ihr Biotop oder ihre digitalen Filterblasen. Würde man mehr darüber nachdenken, wie Wahrnehmung funktioniert, erschiene einem das kuschelige Heim jedoch als Zelle: Menschen registrieren selektiv jene Fakten, die sie bestärken, während sie gegenläufige ausklammern, und die Gleichgesinnten im Netz sind teilweise bloß Social Bots – Software, die gewünschten Inhalt generiert. Kurz: Unsere Wirklichkeit ist eine Hypothese. Der ein Gegencheck guttäte. Am einfachsten: Man rede mit Menschen, die ganz anders sind als man selbst.


5.) Eine Debatte ist keine Therapiesitzung.
Es gibt viele Theorien dazu, woher die Lust am Verbalradikalen kommt. Im Angebot sind: soziale Probleme, ein „Kulturkrieg“ gegen den Wertewandel oder eben PC samt moralischer Elitenarroganz. An allem ist etwas dran. Trotzdem muss man nicht jeden Ausritt verstehen. Menschen pöbeln auch, weil es sich gut anfühlt, Aggressionen rauszulassen. Aber eine öffentliche Debatte ist keine Therapiesitzung. Daher darf man den Verbalradikalen ruhig zurufen: Reißt euch zusammen. Der Rest macht es ja auch.

ulrike.weiser@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.11.2016)

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