Standortpolitik: Wettlauf um die niedrigsten Steuern

Die britische Premierministerin, Theresa May.
Die britische Premierministerin, Theresa May.(c) REUTERS (STEFAN WERMUTH)
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Großbritannien peilt die niedrigsten Unternehmenssteuern innerhalb der G20 an. Auch Ungarn positioniert sich als neues Steuerparadies. Damit steigt der Druck auf Österreich.

Wien. Den Anfang machte diesmal Ungarns Premierminister, Viktor Orbán. Er kündigte in der Vorwoche überraschend an, im nächsten Jahr die Körperschaftsteuer für alle Unternehmen auf neun Prozent zu senken. Ungarn wäre damit in Europa das Steuerparadies Nummer eins. Am gestrigen Montag zog die britische Premierministerin, Theresa May, nach. Sie erklärte bei der Jahreskonferenz des britischen Industrieverbands, dass Großbritannien die Unternehmenssteuern auf das niedrigste Niveau innerhalb der zwanzig größten Industrie- und Schwellenländer (G20) reduzieren werde. Die Details dazu sollen in Kürze präsentiert werden.

Doch einige Informationen sind bereits durchgesickert. Einem Bericht des „Daily Telegraph“ zufolge soll die Körperschaftsteuer in Großbritannien von gegenwärtig 20 Prozent auf unter 15 Prozent verringert werden. Mit diesem Plan will May trotz des Brexit-Votums erreichen, dass sich Firmen aus anderen Staaten in Großbritannien ansiedeln.

Gleich nach der Rede hagelte es Proteste aus anderen EU-Ländern. Vor allem in Deutschland schrillen die Alarmglocken. Dort liegt der Höchststeuersatz für Firmen bei knapp über 30 Prozent. Der deutsche Finanzminister, Wolfgang Schäuble, warnte Großbritannien am Montag davor, mit einer massiven Steuersenkung einen ungesunden Wettlauf auszulösen. Auch wenn Großbritannien aus der EU austreten sollte, sei das Land laut Schäuble an die Versprechungen beim G20-Gipfel vor einem Jahr gebunden. Damals hatten die Regierungschefs der G20-Länder vereinbart, einen Steuerwettbewerb zu unterlassen. Doch mittlerweile hat sich die Lage geändert.

Am G20-Gipfel vor einem Jahr hatte der damalige britische Premierminister, David Cameron, teilgenommen. Dieser trat nach dem Brexit-Referendum zurück. Seine Nachfolgerin, Theresa May, will sich nicht mehr an die Gipfelbeschlüsse halten. Sie braucht auch keine rechtlichen Konsequenzen zu fürchten. Indes kündigten einige Internetfirmen wie Facebook an, ihre Aktivitäten in Großbritannien auszubauen.

Auch Österreich könnte durch den neuen Steuerwettbewerb unter Druck geraten. Als Bedrohung gilt aber vor allem Ungarn, wo Premierminister Orbán den ohnehin schon niedrigen Steuersatz von derzeit 19 Prozent ab 2017 auf neun Prozent senken will. Zwar erwartet Ungarn dadurch Steuerausfälle von mehreren hundert Millionen Euro pro Jahr. Doch gleichzeitig hofft Orbán, dass er mit dem niedrigsten Steuersatz in der EU mehr internationale Firmen anlocken kann. Damit soll die ungarische Wirtschaft belebt werden.

Debatte auch in Österreich

Die Steuersenkung hat aber noch einen anderen Grund: Die Regierung in Budapest will, dass die Konzerne einen Teil der Steuersenkung in Form von höheren Löhnen an die Mitarbeiter weitergeben.

Um das zu erreichen, soll in Ungarn der gesetzliche Mindestlohn angehoben werden. Denn eines der Hauptprobleme der ungarischen Wirtschaft ist der massive Mangel an Fachkräften. Laut einer Studie des Personaldienstleisters Manpower Group sei mehr als die Hälfte der Firmen in Ungarn nicht in der Lage, freie Stellen zu besetzen. Zwar werden in Ungarn viele Fachkräfte ausgebildet. Doch nach Abschluss der Ausbildung ziehen die jungen Menschen nach Westeuropa, weil sie dort mehr verdienen.

Ungarische Unternehmen „konkurrieren nicht nur mit den lokalen Mitbewerbern um Arbeitskräfte, sondern auch mit Arbeitgebern in den angrenzenden westeuropäischen Ländern“, sagt Laszlo Dalanyi, Ungarn-Chef von Manpower. Noch schlimmer als in Ungarn ist der Mangel an Fachkräften in Bulgarien und in Rumänien.

Der neue Steuerwettbewerb dürfte in Österreich die Diskussion über eine Senkung der Körperschaftsteuer anheizen. Wie die „Presse“ im Oktober exklusiv berichtete, wird im Finanzministerium eine Reduktion der Körperschaftsteuer von 25 Prozent auf 20 Prozent überlegt. Damit würden die jährlichen Einnahmen aus der KöSt von 7,5 auf 6,0 Milliarden Euro sinken. Allerdings erwarten die Ökonomen im Finanzministerium im Gegenzug einen deutlichen Wirtschaftsimpuls.

Teile der SPÖ sind gegen eine solche Steuersenkung. Daher machte die Industriellenvereinigung vor Kurzem einen neuen Vorschlag. Demnach sollen Gewinne, die ausgeschüttet werden, weiterhin mit 25 Prozent besteuert werden. Werden hingegen Gewinne einbehalten und investiert, soll der Steuersatz auf 12,5 Prozent gesenkt werden.

Dem Vernehmen nach hofft die Industrie, mit diesem Vorschlag leichter die Zustimmung der SPÖ zu erhalten. Denn es müsse auch im Interesse der SPÖ sein, dass einbehaltene Gewinne nicht so stark besteuert werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2016)

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