Eine große Mehrheit ist für ein Einfrieren der Beitrittgespräche. Die Entscheidung hat vor allem symbolische Bedeutung. Außenminister Kurz begrüßte die Resolution
Mit großer Mehrheit hat das Europäische Parlament am Donnerstag für ein Einfrieren der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei gestimmt. Mehrere Fraktionen stellten sich hinter den Antrag, der eine Reaktion auf das Vorgehen der türkischen Führung gegen Medien und Oppositionelle nach dem Putschversuch im Juli ist.
Die Resolution ist allerdings nicht bindend. Der Vizepräsident des EU-Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff, sprach dennoch von einem starken Signal, dass 479 Abgeordnete in dem 751-köpfigen Plenum für den Antrag gestimmt hätten.
Die türkische Regierung hat den Beschluss des Parlaments scharf kritisiert und zugleich als irrelevant abgetan. "Diese Entscheidung hat überhaupt keine Bedeutung für uns", sagte Premier Binali Yildirim am Donnerstag in Ankara. "Die Beziehungen mit der EU sind ohnehin nicht so eng. Das ist eine Beziehung, die mit Mühe und Not und widerwillig läuft."
Türkei wirft EU-Parlament Doppelmoral vor
Yildirim forderte die EU zu einer Entscheidung über den weiteren Beitrittsprozess auf. "Wird Europa seine Zukunftsvision zusammen mit der Türkei formen oder ohne die Türkei?" Er fügte hinzu: "Dass Europa einerseits sagt, die Türkei ist unverzichtbar für die Sicherheit, andererseits aber solche Entscheidungen aus an den Haaren herbeigezogenen Gründen trifft, ist ein vollkommener Widerspruch." Nach der Resolution des EU-Parlaments erwarte er von den Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten, "dass sie ihre Stimme gegen diese Visionslosigkeit erheben".
Yildirim warf dem EU-Parlament "Doppelmoral" vor und attestierte ihm, "arm an Demokratie" zu sein. Der türkische EU-Minister Ömer Celik sagte an die Adresse der Abgeordneten: "Sie sollten sich vom türkischen Volk über Demokratie belehren lassen." Celik nannte die Resolution "null und nichtig". Die EU selber befinde sich in einer "Wertekrise bezüglich Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Islamophobie und Antisemitismus", die sie nun an der Türkei auslasse.
"Diese Türkei hat keine Platz in der EU"
Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) begrüßte die Resolution. Er sei "froh über diese klare Entscheidung", erklärte er. "Diese Türkei hat keinen Platz in der Europäischen Union", so Kurz.
Nach dem Umsturzversuch in der Türkei wurden schon mehr als 125.000 Staatsbedienstete entlassen, mehrere Tausend wurden festgenommen. Darunter sind Soldaten, Polizisten und Richter. Auch Journalisten und Akademiker sind ins Visier der Behörden geraten. Erdogan beschuldigt den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen, Drahtzieher des gescheiterten Putsches zu sein,
und geht gegen seine Anhänger vor. Gülen bestreitet den Vorwurf.
Beitrittsgespräche in einer Sackgasse
Die 2005 begonnenen Beitrittsgespräche zwischen der EU und der Türkei stecken schon länger in einer Sackgasse. Erdogan hat für kommendes Jahr ein Referendum in seinem Land darüber in Aussicht gestellt, ob die Verhandlungen mit der EU fortgesetzt werden sollen. Umgekehrt droht die EU damit, die Gespräche zu beenden, falls Erdogan wie angekündigt die Todesstrafe wieder einführt.
Das letzte Wort über den Umgang der EU mit der Türkei haben die Mitgliedsländer der Union. Österreich hat sich bereits dafür ausgesprochen, die Beitrittsgespräche zu stoppen. Andere Länder wie Deutschland oder Frankreich fürchten durch einen solchen Schritt auch Auswirkungen auf das Flüchtlingsabkommen, das die EU nach langem Ringen mit der Regierung in Ankara im März geschlossen hat. Die Staats- und Regierungschefs dürften auch bei ihrem Gipfeltreffen am 15. und 16. Dezember in Brüssel über die Türkei beraten.