Christian Kern und Heinz-Christian Strache entdecken angebliche Gemeinsamkeiten und haben einander lieb. Das ist natürlich nur Taktik. Und nicht ohne Risiko.
Ausgerechnet SPÖ-Chef und Kanzler Christian Kern schmeichelt Heinz-Christian Strache zehn Tage vor der Präsidentschaftswahl, indem er dem Oppositionschef Respekt zollt, dass es diesem auch darum gehe, das Land voranzubringen.
Wie? Das Land voranbringen? Als konstruktives Ziel der FPÖ? Für eine derartige Wortmeldung wäre so ziemlich jeder Politiker in und außerhalb der SPÖ noch vor Kurzem vor dem antifaschistischen Scherbengericht geteert und gefedert worden.
Natürlich passierte dieser vor allem atmosphärische Schwenk in einer Ö1-Radiosendung nicht zufällig oder ungeplant, sondern mit Kalkül. Kern will FPÖ-Wähler ansprechen, indem er Strache freundlich und respektvoll behandelt. Der scharfe Angriff und die Distanzierung haben aus Sicht der SPÖ-Strategen nie funktioniert. Warum nicht einmal mit Charme und Gemütlichkeit? Zumal dies für Strache eine völlig neue Erfahrung war, die mögliche Frontalangriffe gegen Christian Kern unpassend beziehungsweise überflüssig machte. (Oder es gab vor dem Gespräch – Duell war das keines – Kontakt zwischen den Teams, und man vereinbarte diskret, das Kriegsbeil nicht auszugraben.) Natürlich hat die Umarmung des alten Erzfeinds – der neue heißt Sebastian Kurz – ein anderes Kalkül: Strache gelingt die Abgrenzung vom „System“ nicht so leicht, wenn er politisch respektiert und hofiert wird. Der Kanzler macht das, was viele fordern, aber nicht erklären können: Er nimmt die FPÖ-Wähler wirklich ernst und beginnt ganz oben.
Das klingt wie fast alles aus dem Mund Christian Kerns so logisch, stimmig und einleuchtend, dass nur Politikberater, oberflächliche Journalisten und andere Dünnbrettbohrer Einwände erheben könnten. Ein Argument verwenden rote Strategen nicht: SPÖ und Co. haben so ziemlich jede Taktik, jede Technik und jedes Argument verwendet, den FPÖ-Siegeszug zu stoppen. Alles umsonst. Warum nicht mit ein wenig Kuschelkurs? Die zweite Möglichkeit wäre eine erfolgreiche Regierungsarbeit, aber sie scheint in aktueller Besetzung, Konstellation und vor allem Struktur des Landes völlig unmöglich, das haben auch die Mitglieder der Regierung offenbar eingesehen.
Dennoch birgt der Kurs Kerns erhebliche Risken – für ihn, seine Partei, das Land. Für ihn selbst, weil viele bei einem 50,1-Prozent-Wahlsieg Norbert Hofers am 4. Dezember Kerns Schwenk als Ursache für die Niederlage Alexander Van der Bellens sehen werden. Dessen Kampagne besteht vor allem darin, vor einem Rechts-außen-Ruck, den katastrophalen Folgen eines Bundespräsidenten Hofer und dem Abschied von der Aufklärung zu warnen. (Es fehlte eigentlich nur noch ein Anti-Hofer-Plakat: „Kommt Hofer, kommt Hitler.“) Dass Kanzler Kern nun eine gute Kinderstube bei Heinz-Christian Strache lobt, konterkariert die Darstellung der Van-der-Bellen-Anhänger. Vor allem: Authentisch kann Kern eigentlich nicht wirken, wenn er Strache besser als alle seine Vorgänger behandelt.
Dann wäre da noch die Sache mit dem Zug, der nun fährt: Nach solch freundlichen Begegnungen wird es schwieriger werden, inhaltlich Rot-Blau auf Bundesebene auszuschließen. Die zahlenmäßig nicht zu unterschätzenden Befürworter einer solchen Koalition innerhalb der Partei werden nun Auftrieb verspüren. Wenn Kern glaubt, er kann die Diskussion und eine mögliche neue Grundsatzentscheidung mit der Argumentation aufschieben, er nehme FPÖ-Wähler und -Personal ernst, man rede gern und lang, nur nicht über eine Koalition, dann wird das nicht funktionieren. Wer rot-blau plaudert, wird auch rot-blau regieren können: Damit soll der ÖVP vermutlich auch signalisiert werden, dass es da eine andere Option gibt. Das Dumme daran: Im Ernstfall muss man sie nehmen.
Und das sei auch erwähnt: Die Option Rot-Blau wäre nicht gut für Österreich. Staatsausgaben und Staatsschulden würden weiterwachsen, ein Wettlauf um Erhöhung von Sozialleistungen, Pensionen (noch mehr Weihnachtshunderter!) und Wohlfahrtsstaat wäre die Folge. Wie bei Ceta vorgeführt, würde Rot-Blau den Rest an Wirtschaftsliberalismus und Marktwirtschaft in die Mangel nehmen.
Hoffentlich war das abendliche Duett zwischen Kern und Strache nicht der erste Akt des Dramas.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2016)