"Im Lebensrhythmus nicht beirren lassen"

Eine kurze Stellungnahme, keine Fragen: Christian Kern und Reinhold Mitterlehner (v. l.).
Eine kurze Stellungnahme, keine Fragen: Christian Kern und Reinhold Mitterlehner (v. l.).(c) APA/HELMUT FOHRINGER
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Derzeit gibt es keine Hinweise auf eine konkrete Gefahr. Die Regierung verstärkt Sicherheitsmaßnahmen. Und gibt zu bedenken: „Absolute Sicherheit gibt es nicht.“

Wien. Eine kurze Stellungnahme, dann verließen sie den Raum: Kanzler Christian Kern und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner traten am Dienstag nach dem Ministerrat nur wenige Minuten auf. Journalisten durften keine Fragen stellen. Die Regierungsspitze verschob auch ihre geplante Bilanz über das vergangene Jahr. Und konzentrierte sich ganz auf den Terroranschlag in Berlin.

„Das ist für uns alle ein furchtbarer Tag“, meinte Kern. Er sei geschockt. „Es betrifft Menschen und eine Stadt, die uns in vielerlei Hinsicht sehr nah sind.“ Das Mitgefühl der Regierung gelte den Opfern und ihren Angehörigen. Auch der deutschen Kanzlerin, Angela Merkel, habe er bereits kondoliert.

Dann meint er, Richtung österreichischer Bevölkerung: „Wir werden alles tun, was in unserer Macht steht, um Österreich zu schützen.“ In Hinblick auf Präventionsarbeit habe man in den vergangenen Monaten bereits Polizei und Heer gestärkt. „Jetzt sind mehr als 800 Polizisten mehr im Einsatz als noch vor einem Jahr“, sagte der Kanzler. Es gehe nun auch um eine Herausforderung des „Way of Life, für den wir stehen“. Denn: „Wir werden die Demokratie, die offene Gesellschaft und unsere Wertvorstellungen gemeinsam zu verteidigen haben.“

Ähnlich formulierte Vizekanzler Mitterlehner. Es sei auch ein Anschlag auf das Lebensgefühl, aber: „Man soll sich im Lebensrhythmus nicht beirren lassen.“ Man müsse dem mit erhöhten Sicherheitsmaßnahmen entgegentreten, sich aber nicht in der Haltung beirren lassen.

Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) machte darauf aufmerksam, dass man in die Ausrüstung von Soldaten bereits investiere. Auch internationale Kooperationen, allen voran der „Wissenstransfer mit Israel“, seien wichtig, um Terrorangriffe möglichst zu vermeiden. Aber: „Die absolute Sicherheit gibt es nicht.“ Dem schloss sich Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) an. Er betonte allerdings, dass sich Anschläge von selbst radikalisierten Attentätern nicht in jedem Fall verhindern ließen. „Wir dürfen den Menschen nicht einreden, dass sie die 100-prozentige Sicherheit haben“, sagte er am Dienstag. Auch die Absage der Silvesterfeiern oder das Meiden von Weihnachtsmärkten wäre aus seiner Sicht die falsche Reaktion: „Wenn eine demokratische Gesellschaft vor Terrorismus in die Knie geht, ist es das falsche Signal.“ Sobotka rief gegenüber Ö1 dazu auf, Weihnachtsmärkte „zwar mit großer Sorgfalt“, aber dennoch zu besuchen.

Alarmbereitschaft bis 9. Jänner

Bis zum 9. Jänner werden die österreichischen Sicherheitskräfte in Alarmbereitschaft versetzt. Neben den regulären Einsatzeinheiten der Polizei betrifft das auch Cobra und Flughafenpolizei. Derzeit gäbe es allerdings keine Hinweise auf eine konkrete Gefahr in Österreich, so Sobotka. Die konkrete Gefahr unterscheidet sich übrigens von der viel zitierten abstrakten Gefahr dadurch, dass es eine zeitliche und örtliche Angabe gibt. Eine abstrakte Gefahr sei etwa der allgemeine Aufruf des sogenannten Islamischen Staats, Ungläubige zu töten, erklärt Karl-Heinz Grundböck vom Innenministerium.

Die abstrakte Gefährdung besteht demnach in Europa schon seit Jahren, wie auch der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), Peter Gridling, betont. Die jihadistische Gefahr „ist seit Jahren in Europa bekannt, es gibt keinen Grund, von einer entschärften Lage zu sprechen“, sagt Gridling zur Austria Presse Agentur. Mit 295 Jihadisten gibt es laut Gridling in Österreich eine „relativ hohe Zahl von Jihadisten“, 90 davon sind Rückkehrer aus Kriegsgebieten. Allerdings gehe nicht nur von ihnen Gefahr aus. „Wir haben in Österreich auch ein radikalisiertes Umfeld. Davon ist kein Bundesland ausgenommen.“ Die Schwerpunkte befänden sich aber in Wien, Niederösterreich und in der Steiermark.

Die Polizeipräsenz werde im ganzen Land an neuralgischen Punkten erhöht. Damit sind Orte gemeint, an denen größere Menschenansammlungen zu erwarten sind, wie Märkte, Einkaufsstraßen, aber auch diplomatische Vertretungen, Regierungsgebäude und Quartiere internationaler Vertretungen. Begleitet wird die Polizeipräsenz von Fahndungs- und Ermittlungsarbeiten, die in der Öffentlichkeit nicht sichtbar sind.

Mehr Kontrollen am Brenner

Ab 1. Jänner wird das Innenministerium auch das Programm „Gemeinsam sicher“ intensivieren. Bei dem Bürgerbeteiligungsprojekt werden Freiwillige in präventive Aktivitäten eingebunden.

Der Tiroler Landeshauptmann, Günther Platter (ÖVP), will die Kontrollen im Grenzraum am Brenner verstärken. Das Grenzmanagement am Brenner soll vorerst allerdings nicht hochgefahren werden. Es müsse „alles unternommen“ werden, so Platter, trotzdem könne „niemals alles verhindert werden“.

AUF EINEN BLICK

Österreich. Bis zum 9. Jänner werden die Sicherheitskräfte in Alarmbereitschaft versetzt. Neben den Einsatzeinheiten der Polizei betrifft das auch die Cobra und die Flughafenpolizei. Derzeit gebe es aber keine Hinweise auf eine konkrete Gefahr in Österreich, sagte Innenminister Wolfgang Sobotka. Die Polizeipräsenz werde im ganzen Land an neuralgischen Punkten erhöht – also Orten, an denen Menschenmengen zu erwarten sind.

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Wir gedenken der Opfer und Menschen in Berlin.

„DiePresse“-Community (mkf)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.12.2016)

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