Bauen mit... allem Möglichem: Visionen für übermorgen

(c) Werner Sobek Stuttgart
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Serie, Teil 6. Aus welchen Materialien die Häuser der Zukunft sein könnten. Und was das mit Muskeln, Schaum und Unterdruck zu tun hat.

Innovative Kleber, mit deren Hilfe man mit Holz am Bau ganz ungewöhnliche Dinge anstellen kann. Neuartige Werkstoffe, die sich nicht nur an gerade Flächen anpassen, sondern sich für Möbel in alle möglichen Formen gießen oder biegen lassen. Ein Blick in das Buch „Standards der Zukunft. Wohnbau neu gedacht“ zeigt, welche gesellschaftlichen, ökonomischen oder architektonischen Visionen es in Sachen Wohnen gibt. Und außerdem hat Roland Burgard, Architekt und bis vor Kurzem Professor an der Universität für angewandte Kunst in Wien, für die Publikation eben auch Experten eingeladen, um über die Zukunft von Materialien nachzudenken.

So wäre etwa das „Chesa Futura“ (Haus der Zukunft von Norman Foster in St. Moritz) in seiner aktuellen Form nicht realisierbar gewesen, hätte man nicht ein neues Klebesystem verwendet, wie die Chemiker Dieter Boesvold und Andrea Maier-Richter erklären. Und dank Entwicklungen bei Mineralwerkstoffen (aus Aluminium und Acryl) können bald, berichtet Martin Funck, Innenausbauten gefertigt werden, die bislang nur im Computer existierten – oder als Einzelanfertigungen für Projekte von Zaha Hadid.

Wie wir morgen bauen werden, lassen experimentierfreudige Fachleute schon heute erahnen. Aber was ist mit übermorgen? Diesem Thema hat sich Werner Sobek verschrieben. Der „forschende, entwerfende und konstruierende Ingenieur“ denkt über gänzlich neuartige Materialien und Konstruktionskonzepte nach (in einer Ausstellung sind seine Ideen noch bis 16. Oktober im Wiener Ringturm zu sehen).

Schaum und Stoff

Als Architekt und Leiter des ILEK (Institut für Leichtbau, Entwerfen und Konstruieren der Universität Stuttgart) beschäftigt sich Sobek dabei unter anderem mit den üblichen Verdächtigen wie Ziegel, Holz, Beton. Geht aber mit seinen Mitarbeitern, die interdisziplinär arbeiten, dabei oft auch überraschende Wege. So wird geforscht, wie Know-how über den Aufbau von Knochen den Baustoff Beton verbessern könnte, wie dieser dann stabil, aber porös ist und – dank kleiner Luftbläschen im Inneren – auch gleich gut dämmend. Es wird überlegt, wie sich Glas aufschäumen lässt, wie die Funktionsweise von Muskeln, übertragen auf Gebäude, diese bei Erdbeben etwa sicherer machen könnte. Und ein Mitarbeiter hat für seine Abschlussarbeit gleich zwei Doktorväter, erzählt Sobek. Ihn selbst und einen Mediziner. Denn man arbeitet daran, das Wachstum von Zellen zu studieren, um es auf Baumaterialien zu übertragen. Und Stoffe, Schaum, die Möglichkeiten von Unterdruck gehören ebenfalls zu den Forschungsgebieten – inspirieren lässt man sich auch von anderen Disziplinen: der Textiltechnik, dem Maschinenbau, von Raumfahrtsystemen, der Haute Couture.

Klingt experimentell, konzeptionell? Ist es auch. Werner Sobek beschäftigt sich aber mit dem Thema Bauen auch ganz handfest. So wohnt er selbst in „R128“, einem Triple-Zero-Haus. Drei mal null, das bedeutet: Es benötigt nicht mehr Energie für Heizen und Kühlen, als es produziert und gibt keine CO2-Emissionen ab. Und sollte R128 einmal nicht mehr gebraucht werden, hinterlässt es keinen Abfall, die Materialien sind recycelbar.

Mit „R129“ will Sobekt noch einen Schritt weiter gehen: Ein Haus wie eine Blase soll entstehen, transparent, linsenförmig, umgeben von einer Kunststoffhülle. „Es wird keine Fundamente haben, also mobil sein. Beschwert wird mittels Wasserballast“, erzählt Sobek von der – ebenfalls emissionsfreien – Gebäudevision.

Häuser zum Angreifen

Wem das noch zu visionär ist, kann sich in Roland Burgards Buch konkrete Beispiele ansehen. Solche, die „den Status von Visionen längst hinter sich gelassen haben, durch das Fegefeuer der Realisierung geläutert, aber dennoch noch nicht Gemeingut, sondern beispielgebend für die Zukunft sind“, wie Burgard es formuliert. Darunter sind auch viele österreichische Beispiele, etwa ein Haus in Feldkirch mit Textilfassade oder ein Wohnbau in Salzburg mit markanter Kunststoffhülle.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2009)

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