Kälte: Notquartiere sind am Limit

Kein wintertauglicher Schlafsack und „wärmender“ Alkohol – in Nächten wie diesen kann die Kombination tödlich sein.
Kein wintertauglicher Schlafsack und „wärmender“ Alkohol – in Nächten wie diesen kann die Kombination tödlich sein. (c) APA/ROLAND SCHLAGER
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Mehr als 1000 Notschlafplätze stehen Obdachlosen in Wien zur Verfügung - ein neuer Rekord. Doch die Quartiere sind voll, nun werden mit Hochdruck zusätzlich Kapazitäten geschaffen.

Wien. Bis zu minus 14 Grad (die wurden für die Nacht auf Mittwoch in Wien erwartet), und der Wind macht die Nächte gefühlt noch viel kälter. Es sind Temperaturen wie diese, die tödlich sein können, wenn man ungeschützt draußen schläft – oder stürzt, nicht aufkommt und nicht gefunden wird.

In ganz Europa sterben wegen der Kälteperiode Menschen, die draußen schlafen – mehr als 40 Kältetote wurden seit dem Wochenende gezählt. In Österreich gab es in diesem Winter noch keine Kältetoten. Aber die eisigen Nächte sind für Obdachlose kritisch. Auch die Wiener Notschlafstellen haben nun ihre Limits erreicht.

In der Nacht auf Dienstag waren die Notschlafstellen im Netzwerk des Fonds Soziales Wien (FSW) „zu 99 Prozent“ voll, wie eine Sprecherin sagt. In der Nacht zuvor waren es erst 95 Prozent. „Wir sind voll ausgelastet“, heißt es von Caritas oder Rotem Kreuz – wegschicken müssen habe man aber noch niemanden. Damit das so bleibt, arbeitet man im FSW mit Hochdruck daran, zusätzliche Plätze zu schaffen. Innerhalb von zwei Tagen sollen zusätzliche Quartiere mit einer Kapazität von 130 Plätzen aufsperren. Wo genau sie sind, wird nicht bekannt gegeben – damit niemand vor verschlossenen Türen stehe, heißt es. Im Februar könnten noch einmal zusätzliche Plätze dazukommen.

Bedarf fast verdoppelt

Dabei gibt es in Wien mit aktuell laut FSW 1000 Notschlafplätzen so viele Quartiere wie nie zuvor. Die 300 ganzjährig betriebenen Nachtquartiersplätze wurden heuer im Rahmen des alljährlichen Winterpakets des FSW um 700 Plätze aufgestockt. Betrieben werden diese Quartiere von Caritas, Rotem Kreuz, Arbeiter-Samariter-Bund und Johannitern. Nicht Teil des FSW-Netzwerks sind die Quartiere der Vinzenzgemeinschaft, diese betreibt in Wien ganzjährig zwei Notschlafstellen mit rund 100 Plätzen – auch diese sind derzeit „sehr gut belegt“.

Die Zahl der Notschlafplätze im Rahmen des FSW-Winterpakets ist – entsprechend der wachsenden Zahl an Obdachlosen in Wien – in den vergangenen Jahren erheblich gestiegen. Hauptgrund ist die Armutsmigration aus Rumänien, Ungarn etc. Im Winter 2012/13 gab es einen Bedarf von knapp 600 Plätzen, 2013/14 waren es knapp 800 Plätze, 2014/15 knapp 900. Im Jahr darauf blieb die Zahl von 900 stabil – es war der Winter der akuten Flüchtlingskrise, und da brauchte man einen Teil der vorherigen Notquartiere des Winterpakets für Flüchtlinge.

Auch vor wenigen Monaten, im Herbst 2016, war man beim FSW noch davon ausgegangen, dass der Bedarf 900 Betten nicht übersteigen würde. Schlussendlich werden es in wenigen Tagen nun 1130 FSW-Notplätze sein. Ein neuer Rekord – und beinahe doppelt so viele Plätze wie noch vier Jahre zuvor.

Hunderte schlafen draußen

Wie viele obdachlose Menschen in Wien leben, weiß niemand genau, es dürften einige Tausend sein. Zu jenen, die in Notquartieren schlafen, kommen schließlich diejenigen, die bei Kälte etwa bei Bekannten unterkommen. Und jene Menschen, die – sei es wegen psychischer Krankheit oder schlechter Erfahrungen – nicht in Notschlafstellen gehen. Auch bei den aktuellen Temperaturen schlafen draußen, in Parkhäusern, Abbruchhäusern oder auch im Freien auf der Donauinsel, „einige Hundert“ Obdachlose, so die Schätzung der Caritas. Diese werden dann von Streetworkern (etwa vom Team der Caritas, das mit dem Kältebus unterwegs ist) mit einem winterfesten Schlafsack, Wintergewand und warmen Mahlzeiten versorgt. Aktuell bittet die Caritas um Spenden für winterfeste Schlafsäcke, auch Sachspenden, etwa Winterstiefel, werden dringend benötigt. Und sie ersucht, das Kältetelefon (+43/(0)1/4804553) anzurufen, wenn jemand einen Obdachlosen draußen schlafen sieht.

Streetworker gehen diesen Hinweisen nach und bringen, wenn nötig, einen Schlafsack oder vermitteln Notschlafplätze. Auch diese Telefonnummer war zuletzt deutlich stärker ausgelastet als gewöhnlich – und auch hier ist es schon zu Engpässen gekommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2017)

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