Barack Obama: Der unvollendete Hoffnungsträger

„Das wichtigste Amt in einer Demokratie: Bürger.“ Präsident Obama appellierte in seiner Abschiedsrede an das Volk.
„Das wichtigste Amt in einer Demokratie: Bürger.“ Präsident Obama appellierte in seiner Abschiedsrede an das Volk. (c) APA/AFP/Darren Hauck
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Der aufgeklärte Optimismus eines Sozialarbeiters wich bald der Ernüchterung über Washingtons Zwietracht. Was bleibt, ist eine Botschaft staatsbürgerlicher Selbstermächtigung.

War Barack Obama ein großer Präsident? Diese Frage wird, je länger sein letzter Tag im Weißen Haus zurückliegt, vermutlich ganz anders beantwortet werden als eine Woche vor Ende seiner Amtszeit. Wer erinnert sich zum Beispiel noch an Präsident Grover Cleveland, der 1884, 1888 und 1892 dreimal die Mehrheit der Stimmen der Amerikaner gewann? Cleveland wurde für seine Ehrlichkeit und liberale Werttreue gelobt, er war ein geschickter Taktiker, der einen Eisenbahnstreik ebenso beendete wie er Korruption und Klüngelwirtschaft bekämpfte.

Den Börsenkrach von 1893 und die jahrelange Depression danach konnte er jedoch nicht meistern. Seine Demokraten waren bis 1913 weg vom Fenster, ehe Woodrow Wilson ins Weiße Haus einzog – der dann erst als Reformer sowie Schöpfer des Völkerbundes gefeiert wurde, ehe seine Präsidentschaft krankheitsbedingt in fataler Inkonsequenz endete. Der einstige Friedensfürst Wilson ist heute eher eine tragische Gestalt.

Obamas acht Jahre als Präsident sind zweifellos historisch. Er überwand als erster Schwarzer die Mauer zum höchsten Amt im Staat, und das ist in der öffentlichen Wahrnehmung der Amerikaner, die viel stärker als die Europäer auf die Erstmaligkeit sozialer und politischer Errungenschaften fokussieren, sehr viel wert.

Zudem gewann Obama seine Wahlen mit einem farbenblinden Appell: Yes we can, ja, wir können das, ob schwarz, weiß, alt, jung, Mann oder Frau. Ironischerweise wehte Obama im ersten Wahlkampf der stärkste parteiinterne Gegenwind von der alten Garde afroamerikanischer Politiker entgegen: Männer wie Jesse Jackson sahen in dem Sohn einer weißen Anthropologin und eines kenianischen Austauschstudenten einen Eindringling, der ihren Kampf um Bürgerrechte und sozialen Aufstieg nicht am eigenen Leib erfahren hatte – und noch dazu dezidiert nicht als schwarzer Kandidat auftrat.

Misstrauen gegen Washington

Obama gewann als Außenseiter. Und als Außenseiter, der Washingtoner Politikblase gegenüber höchst misstrauisch, wollte er regieren. Obama konzentrierte die Macht seiner Regierung im Weißen Haus wie kaum ein Präsident vor ihm. Sein Nationaler Sicherheitsrat hatte letztlich mehr als 400 Mitarbeiter: mehr als je zuvor. Außen- und Verteidigungspolitik wurden nun an der Adresse 1600 Pennsylvania Avenue gemacht – mit gemischten Ergebnissen, wie der Flop des „Neustarts“ mit Russland, die Tatenlosigkeit angesichts des Mordens in Syrien oder das ungestüme Großmachtgehabe Rotchinas zeigen. Hillary Clinton schluckte ihren Groll darüber, von Obama als Außenministerin ins zweite Glied verwiesen worden zu sein (von manchen Sitzungen erfuhr sie aus den Medien), im Interesse ihrer eigenen präsidentiellen Ambitionen. Die Verteidigungsminister Bob Gates und Chuck Hagel waren weniger diplomatisch.

Obamas strenger Führungsstil, der penibel auf die Vermeidung von peinlichen Offenbarungen achtete, hatte allerdings einen positiven Effekt: Anders als seine Vorgänger blieb Obama von gröberen Skandalen verschont. „No-Drama Obama“ hinterlässt seinem Nachfolger Donald Trump ein Musterbeispiel für eine sauber und korrekt geführte Verwaltung im Weißen Haus.

Obamas Regierungsstil war getragen von der pädagogischen Ungeduld des früheren Harvard-Rechtsprofessors und dem Glauben daran, dass das sachliche Argument letztlich obsiegt. Das war auch am Dienstag in Chicago in seiner Abschiedsrede zu erkennen: „Ohne eine gemeinsame faktische Grundlage, ohne die Bereitschaft, neue Informationen anzunehmen und anzuerkennen, dass dein Gegner einen berechtigten Einwand macht und dass Wissenschaft und Vernunft zählen, werden wir weiterhin aneinander vorbeireden.“

Doch in der Politik gewinnt eben nicht immer (oder sogar nur ziemlich selten) die Ratio. Wirkkräftiger sind oft persönliche Animositäten und vor allem der Zug zur Macht. Obama machte gleich zu Beginn den schweren Fehler, die Gesetzgebung zur Einführung einer allgemeinen Krankenversicherungspflicht und zur Stabilisierung der Konjunktur in die Hände von Nancy Pelosi zu legen, der damaligen Mehrheitsführerin der Demokraten im Abgeordnetenhaus und Erznemesis der Republikaner. Als Eric Cantor, einer von deren Abgeordneten, Obama eine Reihe an Einwänden darbrachte, beendete dieser die Diskussion rüde: „Ich habe gewonnen.“

Macht es selbst besser

Ober sticht Unter: Die Republikaner, Obama gegenüber ohnehin feindselig eingestellt, tragen ihm diese Abfuhr bis heute nach. Gesetzliche Kompromisse waren unmöglich. Nun werden die Republikaner das Bauwerk seiner Errungenschaften abtragen: von Obamacare über die Selbstverpflichtungen aus dem Pariser Klimaabkommen bis zur Milde für Menschen, die als Kinder illegal in die USA gekommen sind. Obamas Abschiedsbotschaft war insofern ein Aufruf, die Flamme von „Hope and Change“ nicht erlöschen zu lassen, im Kleinen, im politischen Einsatz auf lokaler Ebene – so, wie der Streetworker Barack Obama vor einem Vierteljahrhundert in den wüsten Ecken Chicagos begonnen hatte: „Wenn etwas repariert werden muss, schnürt eure Schuhe und organisiert euch. Wenn ihr von euren gewählten Vertretern enttäuscht seid, schnappt euch ein Klemmbrett, sammelt Unterschriften und kandidiert selbst für ein Amt.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.01.2017)

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