Beim kommenden EU-Gipfel soll der Kampf gegen die aus Libyen agierenden Schlepper im Vordergrund stehen. Über die Maßnahmen herrscht noch Unklarheit.
Wien/Brüssel. Noch hält sich die Anzahl der Flüchtlinge, die via Libyen und Mittelmeer in die EU wollen, in Grenzen. Laut aktuellen Angaben des Flüchtlingshochkommissariats UNHCR versuchten im Jänner bis dato 4245 Menschen die gefährliche Überfahrt. Doch allen mit Migration befassten Experten in der EU ist klar: Die „Ruhe“ ist trügerisch. Nach dem Winter, wenn das Meer wieder ruhiger wird, werden in Libyen Tausende Menschen, von Schleppern gelockt, in die Boote steigen. Die Zahl von rund 181.000 Flüchtlingen aus dem Jahr 2016 könnte heuer deutlich übertroffen werden. Angesichts mehrerer Wahlen in Europa, wo populistische Parteien im Wahlkampf das Migrationsthema hochspielen könnten, herrscht in der EU Sorge.
Kein Wunder also, dass Migration ein Hauptthema beim informellen EU-Gipfel in Valletta am kommenden Freitag sein wird. Immerhin hat Malta, das neben Italien besonders von dem aus Libyen kommenden Flüchtlingsansturm betroffen ist, derzeit die EU-Präsidentschaft inne. Und Maltas Regierungschef, Joseph Muscat, hat zuletzt mehrfach betont, dass Libyen der Schlüssel zur Lösung sei. Er fordert neue Abkommen der EU mit Libyen und auch mit afrikanischen Herkunftsländern der Flüchtlinge. Vorbild könnte der Flüchtlingspakt zwischen der EU und der Türkei sein.
„Exekutionen und Folter“
Doch innerhalb der EU wird gebremst, denn Libyen sei zu unsicher. Die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, hat am Wochenende zwar betont, mit Libyen zusammenzuarbeiten, einen Flüchtlingspakt à la EU-Türkei könne es derzeit aber nicht geben. Da müsse sicher sein, dass die Einheitsregierung in Libyen die Kontrolle über das ganze Land habe, und dann müsse „über Menschenrechte und Standards gesprochen werden“.
Ein neuer Bericht über die Zustände in libyschen Flüchtlingslagern untermauert Merkels Position, dass die Regierung die Lage im Land nicht im Griff hat. Dem von Diplomaten verfassten internen Bericht zufolge herrschen in den Lagern, die weitgehend von Schleppern kontrolliert werden, „KZ-ähnliche Zustände“. Da seien „Exekutionen nicht zahlungsfähiger Migranten, Folter, Vergewaltigungen und Erpressungen an der Tagesordnung“. Geschätzt wird, dass derzeit in Libyen bis zu 350.000 Flüchtlinge – durchwegs aus Afrika – auf besseres Wetter für die Überfahrt nach Europa warten.
Malta stellte zuletzt zwei Optionen zur Diskussion: Es könne entweder die EU-Marinemission „Sophia“ wie ursprünglich geplant tatsächlich auf libysche Küstengewässer ausgeweitet werden. Gehe das nicht, könne ein kurzfristiges Ziel die Schaffung einer „Schutzlinie“ sehr viel näher an den Ausgangshäfen sein, de facto also in libyschen Gewässern. Einig sind sich jedenfalls alle, dass die Bekämpfung des Schlepperunwesens in Libyen absolute Priorität hat.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2017)