Als gläubige Wiener nach Hernals „ausliefen“

Kirchgang, die Als entlang: Blick von Hernals (links vorne: Schloss der Jörger) in Richtung Döbling (rechts: der Kahlenberg), Stich von Matthäus Merian, 1649.
Kirchgang, die Als entlang: Blick von Hernals (links vorne: Schloss der Jörger) in Richtung Döbling (rechts: der Kahlenberg), Stich von Matthäus Merian, 1649.(c) Wien.Museum
  • Drucken

500 Jahre nach Luthers Thesen zeigt das Wien-Museum diese im Original – in der Ausstellung „Brennen für den Glauben“. Sie präsentiert ein evangelisch dominiertes Wien, von dem wenig geblieben ist. Vor allem das Wort.

In Wien-Währing, fast an der Grenze zu Hernals, steht jene evangelische Kirche Wiens, die am meisten so aussieht, wie man sich naiv eine Kirche vorstellt, mit Turm und Kreuz, Haupt- und Seitenschiffen usw.: die Lutherkirche in der Martinstraße, eingeweiht 1898.

Wer von der Stadt zu Fuß in diese Kirche geht, folgt der Straßenbahn Linie 43, nach dem Gürtel geht er kurz auf der Jörgerstraße – benannt nach dem aus Oberösterreich stammenden evangelischen Adelsgeschlecht, dem ab 1587 Hernals gehörte –, dann biegt er rechts in die – nicht nach Martin Luther, sondern nach einem lokalen Gastwirt benannten – Martinstraße.

Wo heute die Straßenbahn fährt, floss einst die Als. Diesen Fluss entlang gingen – man möchte fast sagen: pilgerten – im späten 16. Jahrhundert allsonntäglich Tausende Wienerinnen und Wiener. Sie „liefen aus“ (so sagte man damals), um evangelische Gottesdienste zu besuchen.

Gottesdienste im Landhaus

Solche durften ab der Religionskonzession Kaiser Maximilians II. (1568) in niederösterreichischen Landpfarren gefeiert werden, vor allem in Vösendorf, Inzersdorf, St. Ulrich (im heutigen siebten Bezirk) und eben in Hernals. In der Stadt Wien war das nicht möglich, obwohl dort zeitweise 70 Prozent der Bürger evangelisch waren, wie Rudolf Leeb, einer der Kuratoren der Ausstellung, schätzt. Die vielen Kirchen Wiens waren und blieben katholisch, auch wenn sie immer schlechter besucht waren. Nur zwischen 1574 und 1578 durften die Evangelischen wenigstens im Sitzungssaal des niederösterreichischen Landhauses in der Herrengasse ihre Gottesdienste feiern, dann wurde auch das verboten. Im Landhaus lehrte etwa Josua Opitz, der die flacianische Erbsündenlehre vertrat, der zufolge die Menschen durch den Sündenfall vollkommen verdorben seien. Ein Radikaler, ein Fundamentalist am Rande der sich erst formierenden evangelischen Theologie. Ein Blatt seines „Menschenspiegels“ ist in der Ausstellung zu sehen.

Zurück in den Vorort Hernals. Dort wandten sich die „auslaufenden“ Evangelischen ein paar hundert Meter nach dem Gürtel – der damals natürlich noch nicht existierte – nicht nach rechts (wie im oben beschriebenen heutigen Weg in die Lutherkirche), sondern nach links: in die Kirche St. Bartholomäus, nahe dem Schloss der Jörger. Dort predigten Pfarrer, deren Namen und Bilder weit über die Grenzen bekannt waren. Elias Ursinus etwa. 1625 dichtete er ein „Valete und Klagelied“, es beginnt so: „Nun muss ich dich verlassen / Hernals du Gottes Saal / da wir beysammen sassen / in Freiden manichsmal.“ Ursinus wurde ausgewiesen, die Jörger wurden enteignet, die Pfarre wurde geschlossen und St. Stephan übergeben. Die Gegenreformation hatte gesiegt. Niemand konnte mehr nach Hernals „auslaufen“. Stattdessen wurde eine Bussprozession eingeführt, vom Fronleichnamsaltar im Stephansdom zu einer 1639 im maurischen Stil erbauten Heiliges-Grab-Kirche.

Wie die Pfarrkirche St. Bartholomäus wurde sie bei der zweiten Wiener Türkenbelagerung 1683 zerstört, 1710 errichteten Bürger dort den Kalvarienberg und die zugehörige, natürlich katholische Kirche. An das evangelische Wien des 16. und 17. Jahrhunderts erinnert nichts mehr dort, keine Steine und kaum Bilder erzählen mehr von ihm.

So ist die Ausstellung im Wien-Museum naturgemäß karg und unsinnlich, das mag gut passen zu einer Kirche, die das Sinnliche, die Bilder skeptisch sah und sieht, die das Wort ins Zentrum rückte. „Das Wort sie sollen lassen stahn“, heißt es in Luthers Hymne „Ein feste Burg ist unser Gott“.

Zwei Augsburger Dokumente

In diesem Sinn sind die drei Stücke, auf die die Ausstellungsmacher besonders stolz sind, allesamt Textdokumente. Sie stammen aus dem Österreichischen Staatsarchiv, und sie repräsentieren jeweils eine wichtige Station der evangelisch-lutherischen Geschichte. Es sind: einer von drei erhaltenen Erstdrucken der 95 Thesen (1517), mit denen Luther die römische Kirche herausforderte; eine zeitgenössische Abschrift des Augsburger Bekenntnisses (1530), mit dem Philipp Melanchthon die Reformation erklärte und das der lutherischen Kirche den Namen „evangelisch A. B.“ gab; das Originalpergament des Augsburger Religionsfriedens (1555), mit dem die Landherren das Recht bekamen, in ihrem Land die Konfession zu bestimmen. Den Wiener Evangelischen half das wenig, sie traf die Gegenreformation mit voller Wucht. Hat sie den österreichischen Charakter geprägt? „Es ist in der Tat schwer vorstellbar, dass die unfreiwillige und für die meisten Untertanen letztlich durch eine Art von ,struktureller Gewalt‘ erzwungene Rekatholisierung keinerlei Spuren in der kollektiven Psyche oder in der Mentalität hinterlassen haben soll“, schreibt Kurator Leeb im Katalog.

Dieser, wissenschaftlich fundiert und reichhaltig, wird bleiben, wenn die Ausstellung am 14. Mai, nach nur drei Monaten, wieder schließt. Aus einem ganz profanen Grund: um die lichtempfindlichen Texte zu schonen. Das Wort sie wollen lassen stahn.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Eisleben hat sein Martin Luther Denkmal wieder Nach rund viermonatigen Sanierungsarbeiten wurde die
Zeitreise

„Luther konnte niemanden neben sich dulden“

Wie war der Mensch Martin Luther? Biografin Lyndal Roper über das so Fremde an ihm – und seine Modernität.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.