ÖVP-Ministerien wollen die Familienbeihilfe kürzen, wenn die Kinder in einem billigeren Land leben. Das könne europarechtlich sogar geboten sein, meint ein Juristengutachten.
Wien. Die Familienbeihilfe gebe es, damit Eltern in ihrer Unterhaltspflicht entlastet werden. Bei Unterhaltszahlungen der Eltern berechne sich die Höhe laut Judikatur unter anderem auch danach, wo das Kind wohnt. Daher sei es gerechtfertigt, auch die Familienbeihilfe in unterschiedlicher Höhe auszubezahlen, je nachdem, in welchem Staat der Nachwuchs lebt.
So sieht – vereinfacht – die rechtliche Argumentation aus, auf der die ÖVP geführten Ministerien ihren Vorschlag zur Kürzung der Familienbeihilfe bei im Ausland lebenden Kindern stützen. Das nun der „Presse“ vorliegende Gutachten des Sozialrechtsprofessors Wolfgang Mazal kommt zum Schluss, dass eine Differenzierung nach dem Wohnsitzstaat möglich sei. Das Gutachten wurde im Auftrag des Finanzministeriums erstellt, aber auch Außenminister Sebastian Kurz und Familienministerin Sophie Karmasin hatten Druck auf eine Neuregelung gemacht.
Es geht insbesondere um Fälle, in denen osteuropäische EU-Bürger in Österreich arbeiten, ihre Kinder aber im Heimatland verbleiben. In Brüssel waren Österreichs Pläne für eine niedrigere Familienbeihilfe in diesen Fällen auf keine Zustimmung gestoßen.
Das Gutachten Mazals kommt aber zum Schluss, dass eine Differenzierung bei den Tarifen sogar geboten sein könne, weil sonst „europarechtlich fragwürdige Effekte“ entstünden. Denn alle müssten gleich behandelt werden. Aber „wird die Leistung in absolut unveränderter Höhe trotz unterschiedlicher Preisniveaus gewährt, kommt es entweder zu einer Überförderung oder Umverteilung (wenn das Wohnland des Kindes ein Land mit niedriger Kaufkraft ist), oder zur Unterförderung (wenn das Wohnland des Kindes ein Land mit höherer Kaufkraft ist)“, heißt es in dem Gutachten.
Karmasin will Tarif festlegen
Dass Österreich rechtliche Argumente sucht, ist schon deswegen wichtig, weil Leidtragende der Reform klagen und bis zum Gerichtshof der EU gehen könnten. Umgekehrt kann es auch Nutznießer der Reform geben. Nämlich jene, deren Kinder in Regionen mit höherem Lebenserhaltungskosten liegen. Die Regeln sollen Zahlungen für Kinder in EU- und EWR-Staaten sowie in der Schweiz betreffen. Laut Gesetzesentwurf hat künftig die Familienministerin per Verordnung festzulegen, wie viel an Beihilfe bei welchem Wohnort des Kindes ausbezahlt wird. Basis dafür soll das vom Statistischen Amt der EU evaluierte Preisniveau der einzelnen Staaten bilden.
Die SPÖ hatte sich in der Causa gesprächsbereit gezeigt, gab sich aber zuletzt auch irritiert ob des Alleingangs der ÖVP. Beschlossen werden kann die Neuerung freilich nur im Nationalrat.
Es geht um einiges an Geld. So flossen im Jahr 2015 insgesamt 249 Millionen Euro für 122.000 Kinder ins Ausland. Und der Großteil ging an Länder, die ein niedrigeres Preisniveau als Österreich aufweisen. 64,7 Millionen Euro wurden allein an in Österreich berufstätige Eltern ausbezahlt, deren Kinder in Ungarn leben. Für in der Slowakei lebende Kinder wurden 59,7 Millionen ausbezahlt, für in Polen lebende 37,3 Millionen, gefolgt von Nachwuchs in Rumänien (27,4 Millionen) sowie Slowenien und Tschechien (je 17,4 Millionen Euro).
100 Millionen Einsparungen
Insgesamt wurden 2015 in Österreich knapp 3,4 Milliarden Euro an Familienbeihilfe ausgeschüttet. Die Höhe der Familienbeihilfe weicht innerhalb Europas stark voneinander ab. In Österreich beträgt sie zwischen 112 Euro ab der Geburt und 162 Euro ab 19 Jahren. In Ungarn liegt die Familienbeihilfe laut Familienministerium pro Monat und Kind bei 39 Euro, in Polen bei 28, in der Slowakei bei 24 und in Rumänien bei 20 Euro. Die niedrigsten Familienbeihilfen werden in Europa in Lettland (11 Euro), Estland (10 Euro) und Griechenland (5 Euro) ausbezahlt.
Laut Familienministerium könnte die Reform jährlich 100 Millionen Euro Einsparungen bringen.
AUF EINEN BLICK
100 Millionen Euro könnte Österreich laut Familienministerium pro Jahr sparen, wenn man weniger Beihilfe an in Österreich arbeitende Eltern auszahlt, deren Kinder in einem anderen EU-Staat mit geringerem Preisniveau wohnen. Ein im Auftrag des Finanzministeriums erstelltes Rechtsgutachten kommt zum Schluss, dass diese Maßnahme europarechtlich in Ordnung wäre.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.02.2017)