Fall Krems: Eine Anwältin als Reizfigur für Polizisten

Nadja Lorenz
Nadja Lorenz(c) Clemens Fabry
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Der Fall Krems spaltet nach wie vor die Öffentlichkeit: Der überlebende Täter wird von der Wiener Anwältin Nadja Lorenz vertreten – einer Juristin, die immer da ist, wenn es um Kritik an der Polizei geht.

Ein 14-Jähriger und ein 16-Jähriger brechen in der Nacht auf den 5. August in Krems in einen Supermarkt ein. Sie werden von der Polizei gestellt. Ein Schuss aus einer Glock 17, der Standardpistole der österreichischen Exekutive, trifft den Jüngeren, Florian P., in den Rücken. P. stirbt. Der Beamte K. hat – wie mittlerweile ein Schießgutachter schreibt – aus nur ca. 180 bis 200 Zentimetern Entfernung gefeuert. Zuvor werden dem anderen Jugendlichen, dem 16-Jährigen, beide Oberschenkel durchschossen. Unbeabsichtigt. Der Schuss, abgegeben von der Polizeibeamtin G., gilt eigentlich dem 14-Jährigen. G. sagt, sie habe sich im Halbdunkel von diesem bedroht gefühlt. Der 14-Jährige habe eine Gartenharke in der Hand gehalten. Sie habe geschossen, um sich zu schützen.

Gerechtfertigter Schusswaffengebrauch oder ein aus dem Ruder gelaufener Polizeieinsatz? Der Fall Krems spaltet die Öffentlichkeit in beispielloser Weise. Man dürfe die Täter nicht mit den Opfern verwechseln, heißt es. Doch wer ist Täter? Und wer ist Opfer? Die Wiener Anwältin Nadja Lorenz rechnet jedenfalls mit einer Anklage „wegen eines Vorsatzdelikts“. Mit einer Anklage gegen den Polizisten K., wohlgemerkt. Lorenz („Ich habe Erfahrung mit schiefgegangenen Polizeieinsätzen“) vertritt den überlebenden, inzwischen 17 Jahre alten Roland T. Und sie legt ihre Rolle immerhin so offensiv an, dass sie in zahllosen Debatten, Fach- und Stammtischgesprächen zur Reizfigur geworden ist. „Rechtsverdreherin“ gehört noch zu den harmloseren Bezeichnungen, mit denen die Anwältin etwa in Postings der Online-Ausgaben der Tageszeitungen angefeindet wird.

Zunächst zum neuesten Stand der Dinge: Gegen Roland T., einen Burschen aus – vorsichtig formuliert – schwierigen familiären Verhältnissen, läuft nach wie vor ein Strafverfahren. Gegen die Kremser Polizisten auch. In ihrem Fall langte erst am Mittwoch der ungeduldig erwartete Abschlussbericht der Polizei ein. Dieser wurde, um Befangenheit, so gut es eben geht, zu vermeiden, von oberösterreichischen (und nicht von Kremser) Ermittlern erstellt. Darauf aufbauend wird der Beamte K. „in den nächsten Wochen“ noch einmal einvernommen. So heißt es aktuell bei der Staatsanwaltschaft Korneuburg– dorthin wurde der Fall delegiert.

Der Plan, die Einvernahme im Beisein von Schießgutachter Ingo Wieser stattfinden zu lassen (schließlich hatte dieser einen „Widerspruch“ zwischen „den Aussagen des Beschuldigten“ und „den objektiv festgestellten Spuren“ festgestellt), musste verworfen werden. Für die nächste Zeit ließ sich kein gemeinsamer Termin finden. Bemerkenswert ist, dass der Beamte K. diesmal nicht wieder vor Polizeiermittlern, also vor Berufskollegen, sondern vor dem Staatsanwalt Rede und Antwort stehen muss. Ob K. tatsächlich angeklagt wird, bleibt abzuwarten. Noch ist die gesamte Bandbreite möglich – von einer Einstellung des Verfahrens bis hin zu einer Mordanklage.

Zurück zu Nadja Lorenz: Die 48-jährige Juristin mit Kanzlei in der Kirchengasse, 7. Bezirk, ist keine Unbekannte, wenn es um das Anprangern von behördlichen Fehlleistungen geht. Im Fall „Krems“ spielt sie eine Doppelrolle: Einerseits schließt sie sich als sogenannte Privatbeteiligten-Vertreterin dem Verfahren gegen die Polizisten an. Damit sichert sie mögliche (Opfer-)Ansprüche (Beispiel: Schadenersatz) von Roland T., der immerhin schwer verletzt wurde. Andererseits steigt sie als Strafverteidigerin des Jugendlichen in den Ring, wenn dieser als mutmaßlicher Supermarkteinbrecher vor Gericht muss.

Apropos Doppelrolle: Die Advokatin, die nicht zuletzt ob ihrer lachend vorgetragenen Philosophie „Ich will, dass die Welt besser wird“ idealtypisch als Role Model eines „Gutmenschen“ durchgeht, mischt vielerorts mit. Von 2000 bis 2006 war sie Mitglied des Menschenrechtsbeirates, zuletzt von Amnesty International entsandt. Sie ist Vorsitzende von SOS Mitmensch. Vorstandsmitglied der österreichischen Strafverteidigervereinigung. Mitglied des von der Caritas und vom Roten Kreuz getragenen Netzwerkes Asylanwalt. Mitglied des Beirates der Fachgruppe Grundrechte der österreichischen Richtervereinigung.

Und überhaupt: „Ich wollte einmal Justizministerin werden.“ Doch an dieser Stelle gibt sie sofort Entwarnung: „Jetzt nicht mehr.“ Denn: „Als Anwältin muss ich keine Kompromisse schließen, als Politikerin schon.“ Will die in Darmstadt (Hessen) geborene und in Wien-Grinzing in gutbürgerlicher Familie aufgewachsene „Kompromisslose“ nun anhand der Causa Krems genüsslich die Unzulänglichkeiten der österreichischen Polizei aufzeigen? Genüsslich nicht. „Mir geht es um Gerechtigkeit.“

Deshalb engagierte sie sich auch für die von Jörg Haider nach Niederösterreich „abgeschobene“ tschetschenische Flüchtlingsfamilie. Oder die Witwe des bei einem Polizeieinsatz getöteten Afrikaners Cheibani Wague.

Dennoch nimmt ihr Lächeln schelmische Züge an, wenn sie hinter dem Schreibtisch ihrer Kanzlei (dieser beeindruckt übrigens durch gerade noch beherrschbare Unordnung) kokett anmerkt: „Ich habe eine Affinität zur Polizei.“ Mit sachlicher Miene lenkt sie ein: „Wir brauchen die Polizei. Ich will nur, dass sie rechtsstaatlich agiert.“ Anzuerkennen sei: „Die haben einen sauschweren Job.“ Was Lorenz wirklich stört: „Es gibt rassistische Strömungen in der Polizei, hier müsste es von der Politik andere Signale geben.“ Ach ja: Was tut die Gerechtigkeitsfanatikerin in ihrer Freizeit? „Russisch lernen – das kann ich für meine Asylwerber brauchen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2009)

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