Ein neuer UN-Report wirft Ankara Verstöße gegen Menschenrechte vor. Merkel forderte beim EU-Gipfel deshalb eine engere Kooperation EU/Europarat.
Brüssel/Wien/Genf. Während die verbalen Attacken aus Ankara gegen Deutschland, Österreich und die Niederlande nicht abreißen, sorgt ein neuer brisanter Bericht über die Lage der Menschenrechte in der Türkei für Aufregung: Laut einem UNO-Report verstoßt die Türkei bei der Verfolgung der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) massiv gegen Menschenrechte. Von Juli 2015 bis Dezember 2016 sei es zu zahlreichen Tötungen und zur systematischen Zerstörung von Siedlungen gekommen, schreibt das UNO-Menschenrechtshochkommissariat in einem am Freitag veröffentlichten Bericht.
Das Hochkommissariat sprach von 355.000 bis 500.000 Vertriebenen aus dem Südosten der Türkei in dem Zeitraum. „Es scheint, dass die Beachtung der Menschenrechte zumindest seit Juli 2015 im Südosten der Türkei nicht funktioniert hat.“ Im Sommer 2015 war eine vereinbarte Waffenruhe in der Region zerbrochen.
Die Türkei verwehrt den UNO-Ermittlern den Zugang zu den betroffenen Gebieten. Das Hochkommissariat erstellte deshalb den Bericht auf der Basis von Satellitenaufnahmen zerstörter Ortschaften, Interviews von Opfern und Augenzeugen sowie Angaben von Nichtregierungsorganisationen.
Für Brisanz dürfte auch ein noch inoffizieller Bericht der sogenannten Venedig-Kommission des Europarats sorgen. Laut Medienberichten sei die Kommission bei der Prüfung der Rechtsstaatlichkeit der Türkei zu dem Schluss gekommen, dass das Land auf dem Weg zu einem autoritären Staat sei. Die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, hat mit Blick auf diesen Bericht jetzt eine gemeinsame Haltung der EU und des Europarats zur Türkei gefordert. Die Venedig-Kommission überprüft vor allem verfassungsrechtliche Fragen in den 47 Mitgliedstaaten.
„Österreich zunehmend repressiv“
Was die Vorwürfe Ankaras gegen Deutschland, Österreich und die Niederlande wegen abgesagter Auftritte türkischer Politiker angeht, sagte Merkel am Rand des EU-Gipfels, dass die drei Staaten „jeder einzeln mit den jeweiligen Gegebenheiten umgehen muss“. Die deutsche Regierung lehnt Einreiseverbote für türkische Regierungsmitglieder ab. Ein Sprecher des Berliner Außenministeriums betonte aber, dass es auch keinen völkerrechtlichen Anspruch auf Einreise gebe.
Indessen hat der türkische Vizeministerpräsident, Nurettin Canikli, erneut Öl ins Feuer gegossen, indem er Österreich, Deutschland und den Niederlanden „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ vorwarf und sagte, Europa sei keine Region der Freiheiten mehr. „Die EU wird zunehmend repressiv und autoritär.“ Er begründete dies damit, dass diese drei Länder Terroristen, die aus der Türkei geflohen seien, Schutz gewährten. Außenminister Sebastian Kurz wies dies zurück. „Die Vorwürfe sind jenseitig“, sagte er. „Ich fordere die Türkei auf, die türkische Innenpolitik nicht nach Österreich zu tragen.“
Im Streit um die Auftritte türkischer Politiker gab es am Freitag eine Absage in Österreich: Die Vorarlberger Gemeinde Hörbranz hat kurzfristig einen geplanten Wahlkampfauftritt des früheren türkischen Energieministers Taner Yildiz abgesagt. Die Veranstalter hätten ursprünglich etwas völlig anderes, nämlich eine Buchpräsentation, angemeldet, so ein Polizeisprecher.
In Linz wurden indessen die Räumlichkeiten für einen geplanten Auftritt eines AKP-Abgeordneten gekündigt. Der Veranstalter, ein türkischer Verein, ist wieder auf Quartiersuche. Zuvor hatte es Kritik von ÖVP und FPÖ an den Auftrittsplänen gegeben. (ag.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.03.2017)