Geheimdienst glaubt an Einzeltäter. Gebürtiger Kirgise soll U-Bahn-Anschlag in St. Petersburg verübt haben.
St. Petersburg. An der Eremitage und anderen Wahrzeichen St. Petersburgs waren die Fahnen im Zuge der verordneten dreitägigen Trauer auf Halbmast gesetzt. Vor und in den Metrostationen Sennaja-Platz und Technologisches Institut erinnern Mahnmale aus Rosen, Kerzen und Teelichtern an die Opfer des Anschlags vom Montag. In der russischen Metropole herrschte auch am Tag danach eine Atmosphäre der Unsicherheit und Nervosität, die sich in der kurzfristigen Schließung zweier U-Bahn-Stationen – wiederum beim Sennaja und am Dostojewskaja – niederschlug. Wie in Moskau hatten die Behörden auch in der zweitgrößten Stadt des Landes die Sicherheitsmaßnahmen schlagartig erhöht: Sie verstärkten die Polizeipatrouillen an neuralgischen Punkten, an den Eingängen der U-Bahn, an Bahnhöfen und Flugplätzen.
Währenddessen konzentrierten sich die Ermittlungen auf einen jungen Mann, einen 22-jährigen gebürtigen Kirgisen mit russischem Pass, dessen Namen der kirgisische Geheimdienst veröffentlichte: Akbarschon Dschalilow, geboren in der Stadt Osch, von dem Nachbarn behaupten, die Familie sei usbekischer Herkunft. Angeblich lebte er schon seit 2012 in St. Petersburg und soll Kontakt zu radikalislamischen Kreisen gehabt haben. Aus Osch stammen mehrere hundert Kämpfer, die sich dem Islamischen Staat angeschlossen haben.
Diese Informationen übermittelte der kirgisische Außenminister in einem Treffen gleichsam auch offiziell an Sergej Lawrow, seinen russischen Amtskollegen. Das belegt das Naheverhältnis zwischen Russland und der mehrheitlich islamischen früheren Sowjetrepublik in Zentralasien, in der Moskau nach wie vor eine Militärbasis unterhält. Lawrow erklärte nach dem Gespräch, es sei zynisch, eine Verbindung zwischen dem Attentat und der russischen Intervention im Syrien-Krieg herzustellen. Bisher fehlt auch jegliches Bekenntnis zu dem Anschlag.
Zugführer als Held
Die russischen Geheimdienste waren vollauf beschäftigt, das Puzzle um die Hintergründe des Attentats zusammenzusetzen. Sie gehen von einem Selbstmordattentäter aus, weil die Polizei an den Leichenteilen Dschalilows Drähte gefunden hat. Weiteren Aufschluss erhofften sie sich von Aufnahmen der Überwachungskameras in einer Metrostation, die Dschalilow mit Brille, blauer Haube, rotem Parka und schwarzem Rucksack zeigen.
Für die russischen Ermittler steht inzwischen fest, dass Dschalilow die zweite Bombe am Wosstanija-Platz, im größten Bahnhof St. Petersburgs, deponiert hat, die dann nicht hochging und vermutlich eine weit größere Wirkung erzielt hätte. Die Forensiker haben an der Tasche, in der der Sprengsatz versteckt war, seine DNA-Spuren festgestellt.
Indessen stieg die Opferzahl auf 14 Tote; unter ihnen sind drei Bürger der Ex-Sowjetrepubliken Usbekistan, Tadschikistan und Weißrussland. Derweil stilisieren die russischen Medien Alexander Kawerin, den Zugführer der U-Bahn-Garnitur der Linie 2, zum Helden der Katastrophe, der die Nerven bewahrt habe. Vorschriftsgemäß, wie er sagt, habe er den Zug nach der Detonation erst bei der nächsten Station gestoppt. „In diesem Moment gab es für mich keine Angst, sondern nur, dass ich funktionierte und die Ärmel hochkrempelte.“ Seine Geistesgegenwart hat den Rettungskräften besseren Zugang und schnelleren Abtransport ermöglicht.
Putin hält sich bedeckt
Kreml-Sprecher Dmitri Peskow wollte einen Zusammenhang zwischen dem Anschlag und der Präsenz Wladimir Putins in St. Petersburg nicht ausschließen: „Das ist Stoff für die Analyse der Geheimdienste.“ Der russische Präsident hatte nach den Verhandlungen mit Alexander Lukaschenko, seinem weißrussischen Kollegen, in der Nacht auf Dienstag rote Rosen an der Metrostation Technologisches Institut niedergelegt. Putin hielt sich bedeckt und wollte sich vorläufig nicht zum Attentat äußern. So hielt er es zunächst auch tagsüber nach einem Gespräch mit den Sicherheitsdiensten und Telefonaten mit ausländischen Staats- und Regierungschefs. Donald Trump, Angela Merkel und François Hollande bekundeten ihr Mitgefühl und sicherten ihm ihre Unterstützung im Antiterrorkampf zu.
In St. Petersburg rückte der Gouverneur einen anderen Aspekt in den Vordergrund. Vor Beginn der Tourismus-Hochsaison und des Confed-Cups im Juni, des Vorbereitungsturniers für die Fußball-WM 2018, warb Georgi Poltawtschenko für die Stadt – ein Appell an die Touristen, St. Petersburg nicht im Stich zu lassen. (vier/ag.)
AUF EINEN BLICK
Akbarschon Dschalilow. Für die russischen Sicherheitsdienste steht der 22-Jährige, der am Samstag seinen Geburtstag feierte, als Selbstmordattentäter fest. Seine DNA-Spuren fanden sich überdies auf der Tasche in der U-Bahn-Station unter dem Bahnhof Wosstanija-Platz, in der ein Sprengsatz versteckt war. Dschalilow wurde 1995 in der kirgisischen Stadt Osch geboren, soll aber seit 2012 in St. Petersburg gelebt und über die russische Staatsbürgerschaft verfügt haben. Laut sozialen Medien waren Pop und Kampfsport seine Hobbys.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.04.2017)