1. Mai 2017: Auf zum letzten Gefecht

APA/HERBERT P. OCZERET
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Hat die Sozialdemokratie ihre beste Zeit hinter sich? Das sicher. Hat sie noch Zukunft? Christian Kern jedenfalls hat die Zeichen der Zeit einmal erkannt.

Die niederländische Arbeiterpartei erreichte bei der Parlamentswahl im März 5,7 Prozent. Der Kandidat der französischen Sozialisten, Benoît Hamon, kam bei der Präsidentenwahl am vorigen Sonntag auf 6,36 Prozent. Die griechische Pasok kam bei den Wahlen 2015 einmal auf fünf, einmal auf sechs Prozent. In Polen ist die sozialdemokratische Partei gar nicht mehr im Parlament vertreten.

Und in Wien bekommt der sozialdemokratische Parteichef und Bürgermeister ohne Gegenkandidat von den eigenen Gesinnungsfreunden nur noch 77 Prozent der Delegiertenstimmen.

Der Zeitgeist ist also kein Genosse. Das kann auch daran liegen, dass die Genossen den Zeitgeist nicht mehr erkennen. Von der Arbeitswelt mit der Automatisierung und den neuen Selbstständigen bis hin zur Zuwanderung – die Sozialdemokratie ist einfach nicht mehr auf der Höhe der Zeit, was die Problemstellungen der Gegenwart betrifft.

Beispielhaft dafür war Michael Häupls Rede zum 1. Mai. Er begann Grundwerte der Sozialdemokratie durchzudeklinieren. Mit der Freiheit fing er an. Diese müsse man heute zeitgemäß interpretieren, so Häupl. Doch wer nun erwartet hatte, dass er sich etwa der Flexibilisierung der Arbeitswelt widmen würde, wurde gleich eines Besseren belehrt. Nein, es ging um den „Egoismus der Besitzenden und Reichen“, um den „gerechten Anteil am Volksvermögen“ sowie um „keine Zugangsbeschränkungen an den Unis“. Dahinter stand Christian Kern, dessen Regierung genau das macht.

Überhaupt hat Christian Kern, der Bundesparteivorsitzende, die Zeichen der Zeit wesentlich besser erkannt. Er sprach in seiner Rede die Genossen von der Sozialistischen Jugend, die ihm Transparente mit Botschaften wie „Solidarität ist keine KERNKompetenz“ hinhielten, direkt an: Die SPÖ könne nicht bei den alten Dogmen stehenbleiben. „Wenn wir relevant bleiben wollen, dann werden wir nach vorne denken müssen.“ Ja, man müsse sich an die Spitze der Veränderung stellen. Als Sozialdemokraten sollte man dabei nur darauf achten, dass niemand unter die Räder komme.

Christian Kern hat seine Lehren aus dem Niedergang der Sozialdemokratie anderswo gezogen. Man wird allerdings den Eindruck nicht los, als sei er einer der wenigen in seiner Partei, die das getan haben. Die SPÖ in ihrer Gesamtheit ist mehr Hamon als Macron. Viel mehr.

Häupl- gegen Ludwig-Fraktion

Das trifft insbesondere auf die Wiener SPÖ zu. In einem Akt wechselseitiger Paranoia hat sie sich am Landesparteitag weiter selbst beschädigt: Der vereinbarte Waffenstillstand wurde gebrochen, weil die Ludwig-Fraktion vermutete, dass sich die Häupl-Fraktion nicht an diese Vereinbarung halten würde. Also das, was sich am Vortag bei der Abstimmung der SPÖ-Frauen schon gezeigt hatte. Keines der zwei Lager wollte, dass dann nur der eine schlecht dasteht. Und so wurden beide, Häupl und Ludwig, gestrichen.

Wahrscheinlich kann die Wiener SPÖ nur jemand von außen retten. Ein namhafter Manager, der dennoch in der Partei verankert ist. Eine Art Christian Kern für Wien. Doch außer Brigitte Ederer und Gerhard Zeiler – und das wäre auch kein Generationswechsel – fällt einem da keiner ein. Auch das ist ein Problem der Sozialdemokratie des Jahres 2017: Sie hat kaum patentes Personal, das nicht schon im Apparat steckt.

Hat die SPÖ also noch Zukunft? Wahrscheinlich nur dann, wenn sie nicht mehr so aussieht, wie sie jetzt aussieht. Wenn die alten Floskeln aus dem vorigen Jahrhundert in der Mottenkiste verschwinden. Dazu zählt auch, Kritiker von zu viel Zuwanderung – vom eigenen moralisch erhöhten Podium aus – nicht mehr so hinzustellen, als würden sie das Geschäft des rechtspopulistischen Gegners besorgen. Auch das hat Christian Kern inzwischen begriffen.

Symptomatisch ist das alljährliche enthusiastische Absingen der „Internationalen“ auf dem Rathausplatz: eh retro, eh lässig. Aber doch irgendwie so, als würde die ÖVP ihre Parteiveranstaltungen mit Kirchenliedern aus der Zeit von Papst Leo XIII. ausklingen lassen.

oliver.pink@diepresse.com

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