Fall Kampusch: Priklopil legte "Lebensbeichte" ab

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Ernst H., befreundet mit Entführer Wolfgang Priklopil, hat entgegen früherer Aussagen von dessen Verbrechen gewusst: vor seinem Suizid habe er H. alles gestanden. Inzwischen wird gegen H. wegen Mitwisser- oder Mittäterschaft ermittelt.

Wien (APA, gr). Die Ermittlungen zu der Entführung von Natascha Kampusch durch Wolfgang Priklopil sind um eine Facette reicher: Priklopils Freund Ernst H. hat in einer Vernehmung am vergangenen Freitag zugegeben, dass Priklopil ihm die Entführung gestanden habe – und zwar kurz vor dessen Selbstmord am 23. August 2006.

In den vergangenen drei Jahren hat H. behauptet, Priklopil habe ihm stets verheimlicht, dass er Kampusch über acht Jahre lang im Keller seines Hauses im niederösterreichischen Strasshof festgehalten hatte. Selbst in jenen fünf Stunden nach Kampuschs Flucht, in denen sich H. und der Entführer miteinander unterhalten haben, habe Priklopil ihm weiter etwas vorgelogen: Er hätte ihm erzählt, auf der Flucht zu sein, weil er alkoholisiert in eine Polizeikontrolle geraten sei, so H.s Behauptung.

Inzwischen wird gegen H. wegen Mitwisser- oder Mittäterschaft an der Entführung von Natascha Kampusch ermittelt. In einer neunstündigen Befragung hat der Unternehmer seine Aussage am Freitag geändert: Wie sein Anwalt Manfred Ainedter am Montag bestätigte, sagt H. nun aus, Priklopil habe ihm die Tat doch gestanden. H. habe das erst jetzt zugegeben, weil er zuvor Angst gehabt hätte „mit hineingezogen zu werden“, sagt Ainedter.

Falsche Aussage über drei Jahre

Laut H.s neuer Version der Ereignisse am Tag von Kampuschs Flucht hat Priklopil wenige Stunden vor seinem Suizid eine Art „Lebensbeichte“ abgelegt; dabei soll er die Entführung des Mädchens am 2.März 1998 und deren achtjährige Gefangenhaltung gestanden haben.

Für seinen Anwalt Ainedter ist mit H.s Aussage die Mitwisser- oder Mittätertheorie „vom Tisch“ – er sieht nur noch die Möglichkeit einer Anklage wegen Beihilfe zum Selbstmord. Allerdings hätte H. den Selbstmord von Priklopil „nicht verhindern können“, sagt Ainedter. Er erwartet, dass das Verfahren gegen seinen Mandanten bald eingestellt wird.

Eine Ansicht, die der Grazer Oberstaatsanwalt Thomas Mühlbacher, der die Ermittlungen leitet, nicht teilt: „H. hat seine Verantwortung, die er drei Jahre lang vertreten hat, plötzlich geändert“ – eine Anklage sei damit noch nicht vom Tisch. Die Ermittler würden jetzt H.s neue Aussage überprüfen und ihn bis auf Weiteres als Beschuldigten führen.

Auch der ehemalige Verfassungsgerichtshofspräsident Ludwig Adamovich, Leiter der Untersuchungskommission, die den Ausschlag für neue Untersuchungen in dem Fall gegeben hatte, findet den plötzlichen Sinneswandel H.s „bemerkenswert“. Es liege jetzt an der Staatsanwaltschaft, die Beweismittel zu gewichten und über weitere Ermittlungen zu entscheiden. Adamovich warnt davor, den Fall bereits als abgeschlossen zu beachten: Bezüglich des Ausgangs der Ermittlungen „ist noch nichts entschieden“.

Auf einen Blick

Ernst H., befreundet mit Entführer Wolfgang Priklopil, hat entgegen früherer Aussagen von dessen Verbrechen gewusst: vor seinem Suizid habe er H. alles gestanden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2009)

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